Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
heißt und gleichfalls unweit des Domes liegt.
Die verschleierte Frau, die ihn erwartete, war eine der Zofen Kaiserin Isabellas gewesen. Sie kniete in einer der vordersten Bänke, und der Benediktiner begab sich zu e i nem der Beichtstühle, von denen er wußte, daß sie am Nachmittag nicht besetzt waren. Die Frau folgte ihm nach einiger Zeit.
»Was Ihr sucht, Pater«, sprach sie hastig, »hat sich zwei Jahre früher zugetragen und entspricht wohl Euren Vorg a ben betreffs des Alters der Kinder. Im Jahre 1139 tauchte durch englische Vermittlung, daher weiß ich es von meiner Herrin, hier bei Hof der Herr Ramon de Perelha auf, Ka s tellan des Montségur, begleitet von seiner Tochter und se i nem Gefolge. Esclarmonde war ein sch ö nes Mädchen, fein und zart und rein wie ein Engel – was meine Herrin etwas beunruhigte, denn sie wußte aus leidvoller Erfahrung, wie Friedrich mit Töchtern von Bittstellern umzuspringen pflegte.
Doch hier drohte dem ehelichen Frieden des kaiserlichen Paares keine Gefahr. Esclarmondes Keuschheit war ev i dent, wenn sie auch unsere Kirchgänge mied.
Und dann war da noch zur gleichen Zeit ein stattlicher junger Muslim von sechsundzwanzig blühenden Jahren, den der Kaiser ›Roter Falke‹ rief und hielt wie seinen eig e nen Sohn. Der heidn is che Emir verliebte sich gar zu sehr in Esclarmonde und machte ihr den Hof in aller minniglichen Sitte, wie es sich geziemt. Doch Escla r monde verhielt sich, bei allem Liebreiz, ablehnend und ging auf das Werben des schönen, kriegerischen Emirs nicht ein, gleich ob er für sie ins Turnier ritt oder mit wohlklingender Stimme für sie sang.
Der Kaiser machte ihr, in Gegenwart ihres Vaters, spö t tische Vorhaltungen, ob sie die Blüte ihrer Jahre als Nonne zu versäumen gedenke. Esclarmonde antwortete ihm selbst, daß sie sich höherer Minne geweiht habe, worin für eines Mannes Gunst weder Raum sei noch Zeit. Sie sei Dienerin des Gral, und er täte gut daran, dem Mon t ségur ritterlichen Beistand zu senden. Der Kaiser war ärgerlich über ihr B e gehr. Weder wolle er der Kirche, wie sie ihn auch anfeinde, diesen Tort antun, noch dem König Ludwig, der ihm bisher nicht in den Rücken gefa l len, so sehr ihn der Herr Gregor auch aufstachele. ›Und Ihr, Esclarmonde, tätet gut daran, mit Eures Schoßes Freuden dem Vater und seiner Burg einen tüchtigen Recken zu gewinnen, der seiner Lanze Stoß Euch wie Eure Feinde gar kräftig spüren läßt!‹
Damit war die Unterredung beendet. Der Rote Falke setzte sein Werben fort; schon um der Minne willen war er frohen Mutes, wenn ihm auch klar sein mußte, daß ihm Esclarmonde nicht nach Ägypten folgen, noch er sich für den Montségur entscheiden würde.
Doch dann starb erst Hermann von Salza, der Großmei s ter des Deutschen Ordens und des Kaisers einziger Freund, und ein paar Tage später tat der Papst den Sta u fer erneut in den Bann; ich glaube, es war Palmsonntag –«
»Gründonnerstag«, korrigierte der Benediktiner, und man merkte seiner Stimme an, daß er ungeduldig wurde.
»Friedrich geriet erst in Trauer, dann in Wut, dann in Raserei und Tücke. Er bestellte sich Esclarmonde zu e i ner Aussprache in seine Gemächer, allein … Er muß wie ein Tier über sie he rg efallen sein. Noch am nächsten Morgen, in aller Herrgottsfrühe, läßt er sie und ihren V a ter und alles Gefolge an Bord eines seiner Schiffe bringen, nach Barc e lona, von wo die Aragonesen sie zurück auf den Montségur eskortierten. Esclarmonde hatte weder geschrien noch g e klagt; sie verlor über die Vergewaltigung kein Wort. Sie konnte sich auch nicht von ihrem Verehrer, dem jungen Emir, verabschieden, der sich Vorwürfe ob ihrer überstür z ten Abreise machte und in tiefen Kummer verfiel.
Friedrich besänftigte sein schlechtes Gewissen damit, daß er ihn an Ostern zum Ritter schlug und ihm auch den Titel eines Prinzen von Selinunt verlieh. Er selbst begab sich – sein alter Widersacher Gregor war im August ve r storben – nach Pisa, wo Elia zu ihm stieß.«
»Wenn also aus dieser erzwungenen Begegnung dem Staufer ein weiterer Bastard entsprungen wär ’ , dann müßte er zwischen Christfest und Dreikönig auf dem Montségur das Licht der Ketzerwelt erblickt haben.«
»Wenn …« , sagte die Frau und erhob sich. »Meine He r rin sah keine Veranlassung, den Mantel des Schweigens von diesem Vorfall zu lüften, noch fürderhin ihn zu verfo l gen.«
Sie verließ die Kirche. Der Benediktiner wartete noch eine
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