Gran Reserva
vor Max.
Die Welt wurde mit einem Schlag dunkel.
Es war Carlos, der Feind aus Cristinas Cuadrilla, der Mann, dessen Blick so einschüchternd wirkte wie eine Klinge, die hastig aus der Scheide gezogen worden war. Sein Atem roch nach Tempranillo, billigem Tempranillo. Und viel davon. Carlosʼ Blutbahnen mussten mehr Alkohol als Blutkörperchen enthalten.
»Hey, Matz!«
»Max.«
»Ich nenn dich, wie ich will, Matz. Marx. Mars. Schwein.« Er kam näher. Und noch näher. Bis sie Brust an Brust standen. Max konnte Carlosʼ angespannte Muskeln spüren. »Und weißt du, warum? Na? Weil du ein Schwein bist, das glaubt, es kommt hierher und kann sich an unsere Frauen ranmachen! Du toller Fotograf aus Deutschland! Geld wie Heu, was? Meinst, du könntest dir hier alles kaufen?«
Weil er den Gestank aus Carlosʼ Mund nicht mehr aushielt, wandte Max sein Gesicht ab – aber nur ein kleines Stück, denn er wollte nicht den Eindruck erwecken, er hätte Angst.
Obwohl er die hatte.
»Spanien ist ein freies Land. Cristina kann sich treffen, mit wem sie will. Oder willst du ihr das verbieten? Was wird sie davon halten?«
»Ich will ihr gar nichts verbieten. Aber dir! Und du wirst Cristina kein Wort davon sagen.«
Max hatte schon in der Schulzeit die Lust verloren, sich von irgendwelchen Deppen herumschubsen zu lassen. Lieber riskierte er eine handfeste Auseinandersetzung und das eine oder andere Veilchen.
»Hau ab, Carlos! Leg dich ins Körbchen. Cristina macht, was sie will. Und ich mache, was ich will. Und dich geht das einen Scheißdreck an!« Er versuchte, Carlos fortzuschubsen, doch dieser machte ihn mit einem einzigen schmerzhaften Griff kampfunfähig. Eine Technik, die nur Polizisten beherrschen sollten. »Meinst du echt, du Scheißer darfst so mit mir reden? Weil du dir alles erlauben kannst, oder? Aber weißt du was: Du kennst mich nicht! Du kennst mich kein bisschen, du Arsch!« Carlos schlug Max gegen die Brust. Es war viel Kraft in seinen Armen. »Ich sag dir jetzt drei Buchstaben, ja? Nur drei, aber die reichen. Hörst du zu?« Er hielt seinen Mund vor Maxʼ Ohr und brüllte hinein. »Ob du zuhörst, habe ich dich gefragt!« Doch er wartete keine Antwort ab, sondern senkte die Stimme. »G und A und L. Sagt dir das was? Sagt dir das vielleicht, dass ich einer bin, mit dem man keinen Scheiß macht? Denn das sollte es.«
GAL? Die Abkürzung sagte Max nichts. Eine Splittergruppe der ETA? Aber konnte Carlos zu diesen gehören? Ein Mann aus der Rioja Alta? Stammten seine Eltern etwa vom anderen Ufer des Ebro? Lauter Fragen schossen Max durch den Kopf, während Carlos ihm seinen Unterarm gegen den Kehlkopf drückte. »Weißt nicht, was die GAL ist, was? Hast halt nur Scheiße im Kopf! Ist die Grupos Antiterroristas de Liberación. In den Achtzigern hat sie die Dreckschweine von der ETA plattgemacht. Mein Vater war dabei. Und ich mach in ihrem Sinne weiter. Ich bin einer von denen, die der ETA das Leben schwermacht, der keine Angst vor ihnen hat. Der keine Angst vor niemandem hat.« Er drückte stärker zu. »Lass die Hände von Cristina! Sonst hast du bald keine mehr. Wenn ich dich noch einmal mit ihr sehe, ein einziges Mal, hörst du mich, Deutscher? Dann lernst du mich richtig kennen, du Schweinehund.« Er hob seine rechte Hand, geballt zur Faust, in die Luft, sie zielte auf Maxʼ Kopf.
»Lass es gut sein, Carlos«, erklang plötzlich eine Stimme hinter Max. Sie kam ihm bekannt vor, doch zuordnen konnte er sie nicht. »Du wolltest ihm doch nur sagen, was du gesagt hast. Wenn du ihn schlägst, sperren sie dich vielleicht für das Rennen. Ist es das wert?«
»Cristina ist alles wert!«
»Er wird sie nicht anrühren. Das hast du ihm klargemacht. Spar dir deine Kraft. Er hatʼs begriffen. Ist ja nicht blöd.«
»Aber vielleicht lebensmüde.« Carlos hob wieder die Faust, die Knöchel traten weiß unter der Haut hervor. Sie sahen geradezu spitz aus im Mondlicht. Carlos war ein Mann, dem Gewalt Spaß machte, das spürte Max in jedem heißen Atemzug von ihm. Ein Mann, der es liebte, seinen Aggressionen freien Lauf zu lassen, weil er allen Frust seines Lebens hineinlegen konnte, in jeden Schlag, mit aller Wucht, hinaus damit aus seinem System.
Doch nun hielt der andere Mann Carlosʼ Arm fest. »Dahinten sind Leute.«
Es stimmte nicht, dahinten waren keine Leute, Max konnte es sehen. Doch Carlos hatte die leere Straße hinter sich nicht im Blick. Er schien mit einem Mal aus dem Tunnel der Wut herauszukommen – und
Weitere Kostenlose Bücher