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Gran Reserva

Gran Reserva

Titel: Gran Reserva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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durchzuatmen.
    »Lass uns verschwinden.« Carlos kam ein letztes Mal nah an Maxʼ Gesicht. »Du hast Glück gehabt, Knipser. Das letzte Mal!«
    Er ging stampfend davon, als wollte er die Pflastersteine zum Zerbersten bringen.
    Nun erst sah Max, wer der Mann war, der ihm zu Hilfe gekommen war: David, der Betriebsleiter von Francino. Seine Züge waren so markant, dass Max das wenige Licht der Sterne, des Mondes und der fernen Straßenlampen ausreichte, um ihn zu erkennen. Der Mann, den er noch wegen des erdverkrusteten Jakobsweg-Abzeichens in seiner Vitrine befragen musste.
    »Alles klar bei dir?«
    Max packte sich an den Hals, denn der fühlte sich an, als wäre er eingedellt. »Ja, zumindest lebe ich noch. Und meine Knochen sind auch alle noch in einem Stück. Zwischenzeitlich war ich mir nicht mehr sicher, ob das so bleiben würde.«
    David presste die Lippen aufeinander. »Nimm ihn nicht so ernst. Carlos ist eigentlich nicht so. Der Alkohol…Ich muss weg. Schönen Abend noch!«
    Doch Max nahm Carlos ernst. Und er war sich sicher, dass Carlos genauso war, wie er ihn gerade erlebt hatte.
    Und dass dieses Problem sich nicht von alleine lösen würde.
    Als er zurück zu Juan kam, bereitete dieser sich gerade das Abendessen zu. Wie lange brauchte es wohl, bis man sich an diese abartigen Essenszeiten gewöhnte? Wahrscheinlich musste man in Spanien geboren sein. Ein Umprogrammieren des Verdauungstraktes war von der Natur nicht vorgesehen.
    Auf dem weißen Futon, der Juan als Sofa diente, lümmelte sich gelangweilt eine langbeinige, rothaarige Schönheit, die sich als Anna-Maria vorstellte. Juan rief ihr die Namen einiger Gerichte zu, die er für sie kochen könnte, doch sie lehnte jedes Mal ab. Ein Spiel. Spanische Frauen aßen immer vor Verabredungen, damit sie dort dann bescheiden wie ein kleines Vögelchen speisen konnten.
    Max brauchte ein großes Glas Wein. Auf Ex. Es war Gran Reserva. Aber es hätte in dem Moment sogar Merlot sein können. Danach ging er sofort ins Bett.
    Am nächsten Morgen besorgte er sich alle Zeitungen, in der Hoffnung, dass die Polizei eine Verbindung zwischen den beiden Morden herstellte – doch sie wussten ja immer noch nicht, wo die erste Leiche aufgefunden worden war. Sollte er es ihnen sagen? Anonym? Am Telefon?
    Nicht vor dem Frühstück.
    Nicht vor einer Tasse heißen, schwarzen Kaffees. Und einer heißen, schwarzen Zigarette.
    Danach beschloss er, erst einmal das unangenehme Gespräch mit Iker hinter sich zu bringen. Es klang wie die traditionelle Unterhaltung mit dem Vater der Freundin, die Max zum letzten Mal mit siebzehn ertragen musste. Aber diesmal war es Spanien, und diesmal war es ein Großvater.
    Das konnte interessant werden.
    Er würde ihn nach Pepe Salinas fragen, schließlich war Campillo, wo sie sich treffen sollten, das Schwestergut von Faustino. Die Bodega gehörte ebenfalls zur Gruppe der Martinez-Kellereien, war jedoch bedeutend jünger als Faustino und das erste Weingut der Rioja, bei dem auf Architektur Wert gelegt worden war – nachdem alle zuvor nur praktisch und günstig zu sein hatten. Mittlerweile wurden für viele Bodega-Neubauten Stararchitekten angefragt. So hatte die Grupo Faustino, zu der insgesamt sieben Kellereien gehörten, ihre neue Bodega Portia in Ribera del Duero von niemand Geringerem als Sir Norman Foster entwerfen lassen.
    Aber es war genau hier, bei Campillo, wo diese Entwicklung 1990 ihren Anfang genommen hatte. Inmitten von stattlichen fünfzig Hektar Weinbergen stand die Bodega am Rande des Örtchens Laguardia inmitten der Rioja Alavesa. Sie erinnerte Max an ein Landhaus aus der Zeit des alten Roms, aus hellen Natursteinen erbaut, mit sieben Rundbögen und einer riesigen Freitreppe aus Schiefer.
    Max hatte sich informiert, falls das Treffen mit Iker wieder in ein Quiz ausartete. Campillo stand inmitten eines der besten Weinterroirs von Rioja, und die Weine wurden ausschließlich von eigenen Trauben erzeugt.
    Rechts neben dem Eingangstor fand sich eine Klingel mit Gegensprechanlage. Max drückte nach einem kurzen Luftholen darauf.
    »Max?«
    »Ja. Iker, bist du das? Schönen guten Morgen!”
    »Ist auf.«
    Eine große Eingangshalle öffnete sich vor ihm, als Max das schwere Tor aufdrückte. Sofort war das Holz der unzähligen Weinfässer zu riechen, die unter ihm im Keller liegen mussten. In der Mitte der Halle befand sich eine riesige Wendeltreppe. Max trat heran, blickte hinauf und hinunter. Wie die Spindel eines gewaltigen Korkenziehers.

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