Grand Cru
den Hof übernehmen, wenn es so weit ist.«
Bruno stieß einen leisen Pfiff aus. Ein großes Erbe für einen so jungen Mann, falls es denn dazu kommen sollte, denn Cresseils Wille würde wahrscheinlich angefochten werden. Nach französischem Recht war es fast unmöglich, einen gesetzlichen Erben vom Nachlass auszuschließen. Und noch etwas ging Bruno durch den Kopf. Das Alibi des Alten für seinen jungen Freund erschien ihm nun noch fragwürdiger.
»Sie kennen unser Erbrecht«, sagte Bruno. »Die Familie kommt zuerst, egal, wie nahe sie einem steht.«
»Ich weiß, und ich hab auch darüber nachgedacht. Was wäre, wenn ich den Jungen adoptieren würde? Als meinen Sohn?«
»Ja, dann hätte er wohl als Erster Anrecht auf Ihr Erbe. Ich weiß allerdings nicht, ob man einen Jungen, der über achtzehn ist, überhaupt noch adoptieren kann. Ganz davon abgesehen, müsste er einverstanden sein. Max ist ein unabhängiger und ehrgeiziger junger Mann, der im Herbst wieder an die Universität zurückgeht. Vielleicht wäre ihm ein solcher Besitz nur ein Klotz am Bein.«
»Wir haben schon darüber geredet, nicht über eine Adoption, aber über den Hof. Max gefällt das Land und auch das Haus. Er sagt, auf dem Brachland weiter unten am Fluss könnte man guten Wein anbauen. Wenn der Junge in den Weihnachtsferien wiederkommt, will er neue Rebsorten ausprobieren. Ich hatte noch nicht den Mut, ihm zu sagen, dass ich's bis Weihnachten womöglich nicht mehr allein schaffe. Und dann müsste ich alles hier verkaufen, um die Heimkosten bezahlen zu können. Dabei hätte ich's doch viel lieber, dass der Junge den Hof übernimmt.«
»Behalten Sie Ihre Pläne noch eine Weile für sich. Ich werde mich erkundigen, ob eine Adoption möglich ist, und melde mich dann wieder bei Ihnen. Dem Jungen sollten wir jetzt weitere Aufregung ersparen. Auch wenn er seine Mutter kaum kannte, hat ihn die Nachricht von ihrem Tod doch ziemlich mitgenommen.«
Cresseil nickte. »Seine neue Freundin wird ihn trösten. Sie hat nicht nur schöne Augen, sondern auch Grips. Und sie weiß ganz schön viel für ihr Alter.«
»Sie ist reifer als Max, meinen Sie das?« Vielleicht auch ein bisschen allzu kokett, dachte Bruno. »Soll ich Ihnen aufhelfen?«, fragte er.
»Nicht nötig. Ich komm allein auf die Beine. Wäre aber froh, wenn Sie den Tisch und die Stühle unter die Veranda stellen könnten. Und die Gläser. Die Flasche können Sie mitnehmen, wenn Sie wollen. Ist doch nicht übel, oder?«
»Ganz und gar nicht. Ihr Wein war schon immer sehr trinkbar, und der hier ist's genauso.«
Der Alte grinste. »Sie sollten Max hören, wenn er sich darüber auslässt, was alles an unseren alten Keltermethoden falsch ist«, sagte er. »Er hat jede Menge Bücher gelesen über kalte Gärung in Edelstahlfässern, biologischen Säureabbau und was weiß ich nicht alles. Sachen, von denen ich noch nie gehört habe. Ich sage ihm immer, die alten Holzfässer, die für meinen Vater und meinen Großvater gut genug waren, sind auch für mich gut genug.«
»Und all diese neuen Gerätschaften würden bestimmt einen Haufen Geld kosten.«
»Klar, aber so kalkuliere ich nicht. Ich habe mich nie als Geschäftsmann verstanden. Ich habe immer nur für den Eigenbedarf produziert, und alles, was darüber war, ist an Freunde gegangen. Das war früher bei allen hier im Tal so. Jeder hat jedem bei der Weinlese geholfen, und dann sind wir alle barfuß in die Presse gesprungen, Jung und Alt, und wenn der Wein fertig war, haben wir alle miteinander angestoßen. Glückliche Zeiten, mein lieber Bruno. Beim Traubenpflücken habe ich auch meine Annette kennengelernt. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie viele Kinder früher bei uns im Juni geboren wurden, neun Monate nach der Weinlese?«
Bruno lächelte. Dieser Zusammenhang war ihm neu, aber auf Anhieb plausibel.
»Es war die Weinlese im Jahr der Befreiung, im September 1944. Wir vom Maquis hatten die Deutschen vertrieben, und de Gaulle war nach Paris zurückgekehrt. Es war eine wundervolle Zeit, und wir hatten eine große Ernte in diesem Jahr.«
Cresseil schwieg für eine Weile und schaute über das Tal in eine entfernte Vergangenheit, und was er sah, rief ihm ein Lächeln ins faltige Gesicht.
»Natürlich kannte ich Annette schon von der Schule her, sie hat ja auch zeit ihres Lebens im Tal gewohnt«, fuhr er fort. »Aber als wir damals im September die Trauben mit den Füßen stampften, als ich ihre blonden Locken über die Schultern fallen sah und
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