Granger Ann - Varady - 01
kommen. Er roch sehr stark nach Pferden und vermutlich
auch nach Whisky – ganz sicher war es kein Eau de Toilette,
und er sah wie die Sorte Mensch aus, die einen anderen so
schnell und einfach aufhängte wie ein Metzger eine Schweinehälfte. Ich fragte mich, ob er rauchte, und blickte mich
auf dem Hof nach zerknüllten Zigarettenpackungen um.
Vergebens – zweifellos war das Rauchen hier wegen der
Feuergefahr verboten. All das Heu und Stroh.
Ich sagte Alastair, dass ich ins Haus zurückkehren würde.
Auf dem Weg dorthin sah ich, dass Kelly mit dem Striegeln
fertig geworden war und sich einer Stallbox näherte. Sie sah
zu mir und winkte. Ich erwiderte ihren Gruß. Sie marschierte weiter und hielt nur einmal an, um einen Ballen Heu aufzuheben, den sie vor sich her in die Box trug. Ich hätte ihn
bestimmt nicht heben können, zumindest nicht, ohne mir
den Rücken zu verrenken. Kelly war der erste Mensch, der
durch und durch auf Jamies Seite stand. Und das konnte
von Bedeutung sein.
Jamie hatte sich den ganzen Morgen noch nicht gezeigt.
Wenn ich mich beeilte, konnte ich vielleicht los und in den
Bus steigen, bevor er mit dem Wagen losfuhr. Doch als ich
mein Zimmer betrat, erkannte ich, dass Jamie schneller gewesen war als ich.
Er war an diesem Morgen nirgendwo zu sehen gewesen,
weil er sich einmal mehr Zutritt zu meinem Zimmer verschafft und alles durchsucht hatte. Fragen Sie mich nicht, wieso ich wusste, dass es Jamie gewesen war – ich wusste es einfach. Außerdem – wer hätte es sonst tun sollen?
Ich war wütend auf Jamie und mehr noch auf mich
selbst, weil ich mit so etwas hätte rechnen müssen.
Mein Matchbeutel war umgestülpt worden. Ganeshs
Kamera war in dem Beutel gewesen. Jamie hatte sie gefunden und den Film herausgerissen: Er lag zerknüllt auf dem
Teppich. Ich hatte bisher kein einziges Foto geschossen,
doch Jamie wollte offensichtlich kein Risiko eingehen. Ich
fragte mich, was ich seiner Meinung nach fotografiert haben
könnte. Ihn selbst vielleicht? Gar kein dummer Gedanke –
noch etwas, auf das ich vorher noch nicht gekommen war.
Ich war wirklich ein lausiger Detektiv, so viel stand fest.
Die Kleiderschranktür stand weit offen. Ich hatte sie zugemacht. Mein Rock war vom Kleiderbügel gefallen und lag
auf dem Boden. Ich hob ihn auf, während ich mir schimpfend ausmalte, was ich mit dem Mistkerl anstellen würde. Er
hatte sogar meine Jackentaschen umgestülpt und den Stoff
heraushängen lassen.
Er hatte auch die Frisierkommode durchwühlt und das
Schubladenschränkchen. Doch er hatte die Stofftiere nicht
angerührt, und als ich nachsah, stellte ich zu meiner Erleichterung fest, dass er auch den Turgenjew nicht untersucht
hatte. Alles war so, wie ich es verlassen hatte, der Brief versteckt zwischen Umschlag und Einbanddeckel.
Er war entschlossen, unser Jamie, aber stümperhaft im Detail. Er wusste nicht, wie viel ich wusste, und er wusste auch
nicht, warum ich überhaupt hierher gekommen war. Er wollte
mich loswerden, aber erst, nachdem er es herausgefunden
hatte. Er wollte genau wissen, was ich vorhatte. Doch es gab
nichts im Zimmer, das es ihm verraten hätte, außer …
Ich stieß einen leisen Schreckensruf aus. Mein Notizbuch!
Ja, er hatte es gefunden. Er hatte auf dem Bett gesessen und
darin gelesen, ich sah den Abdruck auf der Bettdecke. Dann
hatte er es hingeworfen. Ich hob es auf und überflog meine
Notizen. Ich hatte nicht viel geschrieben. Nur ein paar
Stichworte mit Fragezeichen. »T’s Eltern?«
»Der letzte Streit zu Hause?«
»Der Mann, den Gan gesehen hat?« Und dergleichen mehr.
Es hatte ihm genug verraten. Es hatte ihm verraten, dass
ich Detektiv spielte, und »spielen« war genau das richtige
Wort dafür. Wäre ich nur halbwegs kompetent gewesen,
hätte ich das Notizbuch an einer Stelle aufbewahrt, an der
niemand es gefunden hätte. Oder wenigstens hätte ich meine Formulierungen so verschlüsselt, dass niemand etwas
damit hätte anfangen können.
Ich räumte auf, während ich vor mich hin murmelte,
dann zog ich meine Jacke an und ging nach unten.
Jamie war in der Halle. Er stand vor einem Spiegel und
rückte seine Mütze zurecht. Er hielt sich gewiss für einen
tollen Hecht, so viel war klar. Er hatte sich außerdem mit
Aftershave eingesprüht, einem Aftershave, das nach Eau de
Cologne roch. Dessen Duft hing schwer in der Halle, der
gleiche Duft, der mir damals aufgefallen war, als Nev und
ich aus Camden zurückgekehrt waren, und der mir
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