Grappa 13 - Grappa und die acht Todsuenden
Schreibtischkante festhalten, rutschte ab und fiel gegen ihren Ficus benjamini, der dem Druck nicht standhielt und umkippte. Jetzt lag die Kulturfrau wohl in derselben Stellung auf ihrem Ficus, die sie in ihren Träumen Kosmo zugedacht hatte.
»Schluss jetzt!«, brüllte Peter Jansen. »Das hier ist kein Irrenhaus, sondern eine Redaktion! Die Damen in mein Zimmer! Und zwar sofort!«
Kopfwäsche
Jansen fasste sich kurz und schickte die erschütterte Bollhagen-Mergelteich nach einer deutlichen Ansprache nach Hause, nicht ohne ihr den Rat zu geben, sich künftig aus den Privatdingen ihrer Kollegen herauszuhalten.
»Und jetzt zu dir, Grappa«, sagte er, als wir unter uns waren. Sein massiger Körper zitterte vor Wut. »Du solltest eigentlich gelernt haben, dein Temperament zu zügeln. Immer wieder dieses Theater. Geht das nicht mal anders?«
Ich schwieg verstockt. Auf solch heftige Ansprache reagierte ich entweder ebenso laut oder gar nicht. Er konnte mich mal!
Zum Glück klopfte es.
Jansen war mit ein paar Schritten an der Tür und riss sie auf: »Ich hatte doch gesagt, dass ich nicht gestört werden will!«
Seine Sekretärin ging erschrocken ein paar Schritte rückwärts. »Es ist aber wichtig«, brachte sie hervor.
Sie schob einen etwa zehnjährigen Jungen ins Zimmer. »Der junge Mann hier sagt, dass er was abgeben soll. Für Frau Grappa. Und nur persönlich.«
»Hallo«, sagte ich, erleichtert über die Unterbrechung. »Ich bin Frau Grappa.«
Das Kind reichte mir einen Umschlag. Der Todsündenmörder schickte mir das nächste Foto!
»Wer hat dir den Brief denn gegeben?«, wollte ich wissen.
Zögernd berichtete das Kind von einer unbekannten Frau, die ihm einen Fünfer für den Postdienst gegeben hatte.
»Schon wieder diese Frau«, murmelte ich, als der Kleine gegangen war. »Ich muss sie unbedingt finden.«
»Willst du den Umschlag denn nicht öffnen?« Jansen hatte sich abgeregt und seine disziplinarische Maßnahme vergessen; er war genauso gespannt wie ich.
»Wenn der Mörder weiter die Namensliste abarbeitet«, sagte ich, »dann muss dies ein Foto von Dr. Botho Müller sein.«
Ich hielt Jansen das Foto hin. »AVARICIA heißt seine Todsünde. Geiz oder Habsucht.«
Auch den passenden Psalm hatte der Täter nicht vergessen:
Denn Gott ist Richter. Diesen erniedrigt er, und jenen erhöht er. Denn ein Becher ist in der Hand des Herrn schäumender Wein voll Würze. Und er schenkt daraus ein: Ja, seine Hefen müssen schlürfen, müssen trinken alle Gottlosen der Erde. Ich aber, ich will verkünden ewig, ich will spielen dem Gott Jakobs. Alle Hörner der Gottlosen will ich abhauen. Es sollen erhöht sein die Hörner des Gerechten.
Jansen gab ein paar Worte des Textes in eine Suchmaschine ein. Es handelte sich um einen Auszug aus dem 75. Psalm.
»Ein ungerechter Richter«, stellte ich fest. »Botho Müller muss wohl ein Urteil gefällt haben, das dem Mörder nicht gefällt. In Schadewalds Artikel war von einem Prozess die Rede. Dieser Daniel wollte sein Vermögen wiederhaben. Ich tippe darauf, dass Dr. Müller an diesem Prozess beteiligt war. Brinkhoff muss uns endlich die Akte von damals geben!«
Licht im Tunnel
Die Ermittlungsakte lüftete einige der Geheimnisse, doch bei weitem nicht alle. Der Hauptkommissar hatte mich in sein Büro gebeten, nachdem ich ihm von dem neuen Brief des Mörders erzählt hatte, und ich war überrascht, dass auch Oberstaatsanwalt Michele Guardini mit von der Partie war.
Guardini hatte einige Akten vor sich liegen, unter anderem die von dem Prozess, den Marius Daniel gegen die Betrüger angestrengt hatte, die ihn um sein Vermögen gebracht hatten. Diesen Prozess hatte der Familienvater vor gut zwanzig Jahren verloren und der Vorsitzende Richter der Kammer für Handelssachen war Dr. jur. Botho Müller gewesen.
»Wieso Geiz? Das macht ja nicht so viel Sinn«, wandte der Oberstaatsanwalt ein.
»Sie müssen das etwas anders sehen«, erklärte ich. »Die Todsünden umfassen nicht nur ein Wort, sondern bezeichnen eine Geisteshaltung. Habsucht gehört zum Beispiel auch zur AVARICIA. Und lesen Sie mal, was hier steht.«
Ich deutete auf eine Passage im Protokoll des Prozesses. Dort hieß es, dass der Kläger Marius Daniel und sein Anwalt versucht hatten, Dr. Botho Müller als befangen abzulehnen – weil sie ihn verdächtigt hatten, mit einem der Angeklagten befreundet zu sein. Das roch nach Bestechung!
»Was ist eigentlich aus den beiden Angeklagten geworden?«, fragte
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