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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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keine Ahnung, wovon er sprach, aber das Murren im Saal deutete darauf hin, dass die Ankündigung ein allgemeines Unbehagen auslöste. Ich fing Dads Blick auf, doch er zuckte nur die Schultern, er wusste genauso wenig wie ich. Von der Malve war noch nicht fertig. Bevor demnächst Sammeltrupps nach Hoch-Safran losgeschickt würden, sollte eine Untersuchung über das Terrain, die zu erwartenden Altfarbenvorkommen, die Abbaumöglichkeit und noch einiges anderes durchgeführt werden – dazu brauche er Freiwillige, die bereit wären, dorthin aufzubrechen und sich einen ersten Überblick zu verschaffen.
    »Die Regeln besagen«, fügte er noch hinzu, »dass eine Offenlegung aller Risiken zwingend erforderlich ist. Daher muss ich an dieser Stelle vermelden, dass wir im Laufe der vergangenen fünfzig Jahre dreiundachtzig Kundschafter nach Hoch-Safran geschickt haben und dass kein Einziger zurückgekehrt ist. Selbstverständlich«, fügte er hinzu, »ist unser Dorf bereit, in dieser Sache großzügig zu verfahren, und gewährt jedem, der diese gefährliche Aufgabe übernimmt, die Summe von einhundert Meriten. Nach seiner Rückkehr natürlich.« Sollte bloß keiner auf die Idee kommen, sich mit einem Vorschuss in einen Kaufrausch zu versetzen. »Also. Wer meldet sich zuerst?«
    Er wurde nicht gerade überrannt von Freiwilligen. Tatsächlich war es so still im Saal, man hätte einen Farbtropfen fallen hören können.
    »Na gut«, sagte von der Malve. »Denken Sie darüber nach, und melden Sie sich bei mir persönlich, wenn Sie sich entschieden haben.«
    Er kündigte weitere Castingtermine für Red Side Story an und teilte mit, dass Travis Canary vermisst werde, vermutlich Nachtabgang; es folgten die üblichen Warnungen vor Schwanattacken und die Ankündigung einer Übung zur Blitzschlagvermeidung. Danach machte er eine kurze Pause, um seine Gedanken zu sammeln.
    »Die heutige Lektion ist aus Munsells Buch der Wahrheit , Kapitel neun.«
    »Und das ist die Stelle, an der das Rotlaxativ zum Einsatz kommen würde«, flüsterte Tommo, als von der Malve das dicke Buch auf dem Rednerpult aufschlug. Ich musste zugeben, dass es ein großer Jux gewesen wäre und wenigstens eine meiner achtundzwanzigtausend Versammlungen zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht hätte.
    Als von der Malve mit der Lesung einsetzte, schalteten die dreitausend Zuhörer ab, ihre Blicke wurden glasig, in Gedanken waren sie mit anderen Dingen beschäftigt – dass sie eines Tages vielleicht einen eigenen Colorgarten besitzen würden, einen eigenen Löffel oder dass sie den Ehepartner bekämen, den sie sich wünschten, und nicht den, der ihnen sehr wahrscheinlich zugesprochen würde. Die Worte waren so oft und so inbrünstig vorgetragen worden, dass sie jeden Sinn verloren hatten und nur noch ein störendes Rauschen waren.
    Die Lesung stammte aus den Abscheulichkeiten , und nachdem von der Malve gegen die Sünde der Verschwendung, der mangelnden Hygiene, der schlechten Manieren, der groben Sprache und der Überbevölkerung gewettert hatte, ließ er sich über die Unverträglichkeit komplementärer Farben aus, was immerhin einigermaßen witzig war, da er DasEine bei seinem verbotenen Namen nannte, was bei Jüngeren regelmäßig zu Kicheranfällen führte.
    Zum Glück bedachte uns von der Malve nur mit einem kurzen Ausschnitt. Ich glaube, dass er Hunger hatte, so wie wir alle, und dass er seine Liste abarbeiten und dann zur Tagesordnung übergehen wollte. Nachdem wir noch Reich gefärbt sind jene, die genießen das Gleichgewicht chromatischer Harmonie gesungen und Getrennt sind wir vereint gemurmelt hatten, setzten wir uns hin und warteten darauf, dass die Essensaufseher Terrinen mit Lammkeulen, Brotkörbchen und Schüsseln mit zur Perfektion verkochtem Gemüse hereintrugen. Das Essen in Ost-Karmin, muss ich sagen, war erheblich besser als in Jade-unter-der-Limone, allerdings waren die Tischmanieren schlechter.
    »In meinem Glas schwimmt ja ein Zeh«, sagte ein junger Kerl, der Arnold hieß.
    »Sei freundlich zu ihm«, riet Tommo ihm lächelnd. »Er könnte einem Präfekten gehören.«
    Bald kamen wir auf Travis Canarys Abgang zu sprechen. Die Präfekten hatten sich gegen eine Suche ausgesprochen, mit der Begründung, es sei ›verschwendete Energie‹. Aber wenn ich es mir recht überlegte, war es nicht weiter verwunderlich, dass Travis sich abgesetzt hatte. Wenn er zum Reboot gewollt hätte, wäre er im Zug sitzen geblieben.
    »Nachtabgänge kehren nie zurück«,

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