Graveminder
einen Vertrag geschlossen, und manchmal bleiben die Toten nicht tot? Sie erzählen das, als sei es keine große Sache. Nehmen Sie das alles einfach so hin?« Byron schloss die Hand um die leere Flasche und hielt sich daran fest, als müsse er sich irgendeiner Verbundenheit versichern. »Woher soll ich wissen, ob ich überhaupt noch bei Verstand bin? Ich bin durch ein Tor in …«
»Verraten Sie es mir nicht!«, unterbrach Pater Ness ihn. »Die Diözese hat mich hergeschickt, weil ich den weniger modernen Aspekten des Katholizismus gegenüber offen bin. Doch wenn keine besonderen Gründe vorliegen, dürfen nur zwei Menschen wissen, wo sich dieses Portal befindet. Ich gehöre nicht dazu. Die Mitglieder des Stadtrats wissen einiges, und manches dürfen wir nie erfahren.«
Byron warf die Flasche in die Spüle. Sie zerschellte in dem Edelstahlbecken. Braune Glasscherben sprangen hoch und fielen auf die Arbeitsplatte. »Wie ich das hasse!«
»Ich weiß, aber dadurch ist für unsere Sicherheit gesorgt. Ihr Vater hat Gottes Werk verrichtet.«
»Wirklich? Was ich dort gesehen habe, stellte ganz bestimmt nicht den Himmel dar.«
»Bitte, Byron, ich darf nicht wissen, was dort drüben geschieht. Ich würde Ihnen in dieser Hinsicht Ihre Bürde gern erleichtern, aber das steht mir nicht zu. Ich kann allerdings für Sie da sein und Ihnen helfen, die Trauer … oder den Zorn zu verarbeiten.« Pater Ness wirkte nicht weniger mitfühlend und verständnisvoll als vorher. Wenn überhaupt, strahlte er sogar noch größere Anteilnahme aus. »Wie auch immer, Sie können mich und alle anderen religiösen Würdenträger zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen.«
»Wozu?«
»Wonach immer Ihnen ist. Zum Reden. Jetzt verrichten Sie Gottes Werk.« Pater Ness stand auf und legte Byron eine Hand auf die Schulter. »Wir können Ihnen die Last nicht abnehmen, aber Sie sind nicht allein.«
Byron spürte, wie angesichts dieser freundlichen Geste sein Zorn verflog. Es war nicht Pater Ness’ Schuld, dass Byron sich in dieser Lage befand. Der Geistliche hatte weder Zorn noch Verachtung verdient. »Danke.«
Pater Ness nickte.
»Die anderen wissen also auch Bescheid – Lady Penelope, Reverend McLendon und Rabbi Wolffe?«, fragte Byron.
»Ja.« Pater Ness nickte. »Wir wussten, dass Sie und Rebekkah eines Tages den Platz der vorherigen Generation einnehmen würden. Bedauerlich, dass es unter solchen Umständen geschehen musste, aber wir vertrauen darauf, dass Sie mit dieser Herausforderung fertigwerden – so wie Maylene und William.«
Byron starrte den Geistlichen ausdruckslos an. Diese Herausforderung? Man verlangte von ihm, ein mordlustiges totes Mädchen aufzuhalten, der Frau, die er seit Jahren liebte, zu sagen, dass sie ihr Leben damit verbringen werde, mit ihm als Gefährten über die Toten zu wachen, und mit dem Tod seines Vaters fertigzuwerden. Er hätte nicht zu entscheiden gewusst, welche dieser Herausforderungen ihn am stärksten einschüchterte.
»Ich habe nicht die blasseste Ahnung, wo ich anfangen soll«, erklärte Byron matt.
»Beginnen Sie damit, dass Sie schlafen gehen. Morgen früh suchen Sie Rebekkah auf. Die Lebenden werden schon zurechtkommen, aber die Toten wandeln umher. Wir brauchen die Totenwächterin, damit sie alles wieder in Ordnung bringt, und sie braucht den Undertaker, der ihr das Tor öffnet.«
Ehe der Priester gehen konnte, hielt Byron ihn am Arm fest. »Ich habe nicht alles erfahren, was ich wissen wollte, und ich brauche Erklärungen. Erzählen Sie mir mehr!«
Pater Ness hielt kurz inne, doch dann nickte er. »Die Bedingungen des Vertrags sind nicht so klar, wie es uns lieb wäre, aber einiges haben wir im Lauf der Jahre herausbekommen. Wer hier geboren ist, kann nicht auf Dauer wegbleiben. Viele schaffen es gar nicht, die Stadt zu verlassen. Wenn sie es versuchen, werden sie krank.« Der Priester lächelte betrübt. »Rebekkah muss in Claysville bleiben. Und Sie ebenfalls – es sei denn, Sie verfolgen die Toten oder holen den Leichnam eines Stadtbewohners zurück.«
»Rebekkah muss in Claysville bleiben«, wiederholte Byron. »Bisher ahnt sie nichts davon. Maylene ist tot, und sie muss damit fertigwerden. Sie sitzt in der Falle, und … ich muss es ihr sagen.«
»Gehen Sie zu ihr«, drängte Pater Ness. »Sagen Sie ihr, was sie wissen muss, damit Sie beide die Toten zur Ruhe legen können. Wir verlassen uns darauf, dass Sie für Ihre – und unsere – Sicherheit sorgen.«
Dann brach der
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