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Grazie

Grazie

Titel: Grazie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chelsea Cain
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allein draußen bleiben oder hineingehen
und nachsehen, was los war. Beide Möglichkeiten waren gefährlich. Aber
wenn sie hineinging, wäre sie wenigstens nicht allein. Parker würde ins
Haus gehen. Parker würde keine Sekunde zögern.
    Hol's der Teufel. Sie stellte die Wasserflasche ab und folgte
Henry ins Haus.
    Drinnen lief Musik. Ein leises Klassikkonzert wehte vom
Hauptraum am Ende des Flurs heran, übertönte jedoch nur schwer das
Rauschen in Susans Ohren, das ihr eigener Herzschlag verursachte.
    Für einen Moment gestattete sie sich den Gedanken, dass es
vielleicht das falsche Haus war. Vielleicht war Archie gar nicht hier.
    Sie schlich zögernd an der Wand entlang, hielt immer wieder
inne, den Stock wie ein Schwert vor sich ausgestreckt. Er war schmutzig
und krumm, und sie hielt ihn so fest, dass sie Angst hatte, er könnte
ihr in der Hand zerbrechen.
    Henry stand am Ende des Flurs. Er stand so reglos, dass sein
ganzer Körper wie aus Holz geschnitzt schien.
    »Was haben Sie mit ihm gemacht?«, hörte Susan ihn fragen.
    Susan schlich weiter an der Wand entlang, von einem Zwang
angetrieben, den sie nicht unter Kontrolle hatte. Es war ihr nicht
einmal bewusst, dass sie sich bewegte, bis sie am Ende des Flurs stand,
dort, wo er sich zum Hauptraum öffnete.
    Ein mächtiger Kamin erhob sich an der Stirnwand, die Glut
eines erlöschenden Feuers flackerte darin. Doch dann bemerkte Susan,
dass es gar nicht die Glut war, die flackerte, sondern der Waldbrand.
Zu beiden Seiten des raumhohen Kamins lagen Panoramafenster, und Susan
sah den roten Flammenkamm in der Finsternis näher rücken, es war ein
Bild von düsterer Großartigkeit. Das Feuer war höchstens anderthalb
Kilometer entfernt. Hinter dem dunklen Rauchvorhang war der Mond als
weißer schmieriger Fleck zu sehen.
    Susan konnte kaum atmen.
    Nicht weit von ihr stand Henry und hatte die Waffe auf
Gretchen Lowell gerichtet. Susans Nasenlöcher waren verstopft. Sie
bekam nicht genügend Sauerstoff, konnte sich nicht konzentrieren.
Gretchen trug eine Freizeithose und eine weiße Seidenbluse, blonde
Strähnen fielen ihr ins Gesicht. Archie war tot, sein Kopf ruhte auf
ihrem Schoß. Susan rang um Luft, aber wegen ihrer mit Gaze verstopften
Nase fühlte es sich an, als ob eine Hand auf ihrem Gesicht lag.
Gretchens weiße Bluse war mit Archies Blut besudelt.
    Susan pfiff wieder, ein feuchtes Rasseln, wie von etwas, das
starb, und sie hob die Hand an den Mund, um es zu unterbinden.
    »Verschwinden Sie von hier, Susan«, hörte sie Henry sagen.
Seine Augen waren weiter auf Gretchen fixiert. »Weg von ihm«, bellte er.
    Susan sah, wie Gretchen einen Arm in die Höhe hob, und ein
paar Handschellen, mit denen sie ans Geländer gefesselt war, kamen zum
Vorschein. »Ich kann nicht«, sagte Gretchen, und ihre Stimme klang
leicht gereizt, als sollte man sie mit einer so offensichtlichen
Unmöglichkeit nicht belästigen.
    Henry bewegte sich langsam, mit erhobener Waffe auf Gretchen
zu.
    Angst schnürte Susans Kehle zu, tausend Möglichkeiten gingen
ihr durch den Kopf. Was sie tun würde, falls Henry etwas zustieß, wenn
sie mit Gretchen allein hier bliebe, mit Archie dort auf dem Boden. Sie
sah auf den Stock in ihrer Hand und hielt dann nach einer besseren
Waffe Ausschau, einem Messer, einem Hammer oder was immer. Sie bemerkte
die weiße Handtasche auf dem Tresen, den Schlüssel, das Blatt Papier,
die leeren Apothekerfläschchen, aber keine stumpfen Gegenstände. Dann
entdeckte sie ein Schälmesser. Nun, es würde zumindest wehtun, dachte
Susan. Sie ließ den Stock fallen und packte das Messer. Henry war
inzwischen bei Archie und kniete neben ihm; während er an Archies Hals
nach einem Puls fühlte, hielt er die Waffe auf Gretchens Kopf gerichtet.
    »Was haben Sie mit ihm gemacht?«, fragte Henry wieder.
    »Raten Sie mal«, sagte Gretchen.
    Susan holte ihr Handy hervor. Noch immer kein Signal. Falls
sie das hier überlebte, würde sie sich auf jeden Fall einen neuen
Netzbetreiber suchen. Sie hielt nach einem Festnetzanschluss Ausschau,
sah aber keinen.
    »Beide Hände so, dass ich sie sehen kann«, sagte Henry zu
Gretchen. Er sagte es mit zusammengebissenen Zähnen, es klang hart und
schnell.
    Gretchen hob ihre andere Hand hoch.
    »Seine Leber ist dabei, zu versagen. Ich habe Naloxon. Ich
kann ihn retten. Auf der Theke liegt ein Schlüssel. Machen Sie mich
los.«
    Susan sah zu dem kleinen Schlüssel. Dann zurück zu Gretchen.
Und plötzlich ließ die Erkenntnis sie taumeln: Das

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