Gregor und der Schlüssel zur Macht
wollte durch nichts behindert werden. Er prüfte seine Taschenlampe, die voll aufgedreht war. Er nahm das Schwert und ging auf den Tunnel zu.
Ares hielt ihn mit einem Flügel zurück. »Du kannst dort drinnen nicht gegen sie kämpfen, Überländer.«
»Tja, sie kommt aber nicht raus«, sagte Gregor.
»Dann warte«, sagte Ares.
»Worauf? Dass noch ein Haufen Ratten auftaucht?«, sagte Gregor.
Widerstrebend ließ Ares den Flügel sinken.
»Weißt du, ich hab das Gefühl, dass es sowieso so gedacht war. Dass ich es allein machen soll«, sagte Gregor. »Aber halt dich bereit; wenn ich sie getötet habe, müssen wir schnell von hier verschwinden. In Ordnung?«
»Ich werde bereit sein«, sagte Ares. Er streckte einen Fuß aus und Gregor ergriff ihn mit der Hand.
Dann wandte er sich zum Tunnel. Während er die zehn Schritte zum Eingang zurücklegte, spürte er, wie der Wüter in ihm durchkam, die geschärften Sinne, das Adrenalin in den Adern, die selektive Wahrnehmung. Er war von Kopf bis Fuß aufs Töten eingestellt.
Er schlüpfte hinein und stieß fast sofort auf den spiralförmigen Weg, von dem Ares gesprochen hatte. Noch so ein Weg, der an einen Korkenzieher erinnerte. Während er sich mit der verletzten Hand an der Mauer entlangtastete und in der guten das Schwert hielt, machte er ein, zwei, drei Drehungen und landete plötzlich in einem quadratischen Raum.
Er versuchte sich vor ihm zu verstecken, der Fluch. Nur ganz kurz blitzte weißes Fell auf, dann ein rosa Schwanz in einer Höhle seitlich des Raums.
Gregor dachte an Luxa, die niemals Königin sein würde, an Twitchtip, die blutend am Boden lag, an seinen Vater, der am Telefon weinte, und an Boots … süße, vertrauensvolle Boots …
Mit klopfendem Herzen, blind für alles bis auf das weiße Fell, machte er einen Satz zu der Höhle hin. Er riss das Schwert hoch, sodass er im schrägen Winkel zustoßen konnte. Er nahm die verletzte Hand dazu und bewegte die Klinge mit aller Kraft nach unten.
Doch kurz bevor er zustieß, gab das Wesen einen Laut von sich, der Gregor traf wie ein Donnerschlag.
»Ma-maa!«
22. Kapitel
I n letzter Sekunde riss Gregor das Schwert herum und stieß es mit solcher Wucht in die Steinwand, dass die Klinge am Griff abbrach und klirrend zu Boden fiel. Beim Aufprall schlugen seine Zähne zusammen.
Er stolperte ein paar Schritte zurück. »Boots?«, sagte er heiser. Er wusste, dass es nicht Boots’ Stimme war. Doch etwas daran hatte ihn so sehr an Boots erinnert, wenn sie außer sich war, die hohe, gequälte Tonlage und die Art, wie sie das Wort in zwei lange Silben dehnte. »Ma-maa!«
Der Raum drehte sich in seinem Kopf. Wo war der Fluch? Was war das weiße Fellding ein paar Meter vor ihm? Denn eins war es ganz sicher nicht: eine drei Meter große Ratte, die ihn angreifen wollte!
Gregor zwang sich weiterzugehen und leuchtete mit der Taschenlampe in die Höhle. Da lag an die Wand gekauert,bebend vor Angst, eine kleine weiße Ratte. Plötzlich erschien ihm alles ganz logisch – weshalb man fast nichts über den Fluch wusste, weshalb er nicht die Herrschaft über das Königreich übernommen hatte, weshalb er ihn nicht angegriffen hatte. Er war noch ein Baby!
Trotzdem war es der Fluch. Gregor sollte ihm das Licht rauben. Sein Schwert war abgebrochen, er hatte nur noch eine krumme dolchartige Waffe in der Hand. Es wäre so einfach, das Wesen, das da vor ihm lag, zu töten. Aber … aber …
»Ma-maa!«
Aber es hörte sich genauso an wie Boots!
»O Gott. O Gott«, sagte Gregor und warf die Überreste seines Schwerts von sich. Er kniete sich hin und streckte die Hand nach dem Wesen aus, um es zu streicheln. »Ist schon gut. Es ist alles gut, Kleines.«
Die Ratte bebte vor Entsetzen, presste sich noch fester an die Wand und heulte aus Leibeskräften. »Ma-maa! Ma-maa!«
»Pscht! Pscht! Ist schon gut. Ich tu dir nichts«, sagte Gregor beruhigend. »Ares!«
Er hätte nicht so laut rufen sollen. Jetzt hatte er sie wieder erschreckt, sie schluchzte.
Ares kam eilig aus der letzten Kurve hervor und stolperte in den Raum. »Was ist? Wo ist der Fluch?«
»Hier drin«, sagte Gregor und zeigte auf die Höhle. »Und wir haben ein Problem.«
»Was? Was?« Ares hatte sich auf einen Kampf um Leben und Tod gefasst gemacht und war jetzt völlig verwirrt. »Wo ist das Problem?«
»Hier ist das Problem«, sagte Gregor. Er beugte sich hinab und hob das Rattenbaby hoch. Es war etwa so schwer wie ein ausgewachsener Cockerspaniel. Eines
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