Gregor und die graue Prophezeiung
lassen.«
Allgemeines zustimmendes Gemurmel erhob sich am Tisch.
Gregor wurde schwindelig.
Er sollte sich von Boots trennen? Sie bei den Unterländern in Regalia lassen? Das war unmöglich! Nicht, dass er glaubte, sie würden ihr etwas antun. Aber sie würde furchtbar einsam sein, und was wäre, wenn sein Vater und er nicht zurückkehren würden? Dann würde sie nie mehr nach Hause kommen. Andererseits wusste er, wie bösartig die Ratten waren. Und sie würden sie verfolgen. Bis zur letzten Ratte.
Er wusste nicht, was er machen sollte. Er schaute in dieunbewegten Gesichter und dachte, die Unterländer hätten bereits entschieden, sie zu trennen.
»Bleibt zusammen!« Sagte seine Mutter das nicht immer, wenn er mit seiner Schwester rausging? »Bleibt zusammen!«
Da sah er, dass Luxa seinem Blick auswich. Sie starrte angestrengt auf ihre Hände, die sie auf dem Tisch verschränkt hatte. »Was würdest du tun, wenn es deine Schwester wäre, Luxa?«, fragte er. Es wurde ganz still im Raum. Gregor war sich sicher, dass der Rat nicht hören wollte, was Luxa dazu zu sagen hatte.
»Ich habe keine Schwester, Überländer«, sagte Luxa.
Gregor war enttäuscht. Einige Ratsmitglieder murmelten beifällig. Sie warf einen finsteren Blick in die Runde. »Aber wenn ich eine Schwester hätte und an deiner Stelle wäre«, sagte sie leidenschaftlich, »würde ich sie keinen Moment aus den Augen lassen!«
»Danke«, sagte er, aber in dem lauten Protest der Ratsmitglieder konnte sie ihn wahrscheinlich nicht hören. Er erhob die Stimme. »Wenn Boots nicht geht, gehe ich auch nicht!«
Mitten in dem Aufruhr kam eine Fledermaus durch die Tür gekurvt und landete krachend auf dem Tisch. Alles verstummte. Eine gespenstische Frau fiel von der Fledermaus. Sie hielt die Hände an die Brust gepresst, um das herausströmende Blut zu stoppen. Die Fledermaus legte einen Flügel an, aber der andere, den sie hilflos ausstreckte, war eindeutig gebrochen.
»Anchel ist tot. Daphne ist tot. Die Ratten haben Shed und Fangor gefunden. König Gorger hat seine Truppen in Marsch gesetzt. Sie kommen auf uns zu.« Die Frau keuchte.
Vikus fing sie auf, als sie zusammenbrach. »Wie viele, Keeda?«, fragte er.
»Viele«, flüsterte sie. »Viele Ratten.« Dann erschlaffte ihr Körper.
12. Kapitel
S chlagt Alarm!«, rief Vikus, und schon bald stand alles Kopf. Hörner wurden geblasen, Menschen rannten hin und her, Fledermäuse kamen hereingesaust, holten sich ihre Befehle ab und verschwanden wieder, ohne auch nur zu landen.
Nachdem der Ausnahmezustand eingetreten war, achtete niemand mehr auf Gregor. Er wollte Vikus fragen, was los war, doch der alte Mann stand mitten in einer Wolke flatternder Fledermäuse in der Hohen Halle und erteilte Befehle.
Gregor ging auf den Balkon und sah, dass es in Regalia wimmelte wie in einem Bienenstock. Scharen von Ratten waren im Anmarsch. Die Unterländer bereiteten sich auf die Verteidigung vor. Mit einem Schlag begriff er, dass sie sich im Krieg befanden.
Von diesem schrecklichen Gedanken – und von derHöhe des Balkons – wurde Gregor ganz benommen. Als er wieder hineintaumelte, hielt ihn eine starke Hand am Arm fest. »Gregor der Überländer, halte dich bereit, denn wir werden bald ausziehen«, sagte Vikus.
»Wohin? Wohin gehen wir?«, fragte Gregor.
»Wir werden deinen Vater retten«, sagte Vikus.
»Jetzt? Während die Ratten angreifen?«, sagte Gregor. »Hier bricht doch gerade ein Krieg aus, oder?«
»Nicht irgendein Krieg. Wir glauben, dass es der Krieg ist, der in der ›grauen Prophezeiung‹ vorausgesagt wird und der unser ganzes Volk auslöschen könnte«, sagte Vikus. »Nur wenn wir uns auf die Suche nach deinem Vater machen, können wir zu überleben hoffen.«
»Boots kann ich aber mitnehmen, oder?«, fragte Gregor. »Ich meine, ich nehme sie mit«, verbesserte er sich.
»Ja, Boots wird uns begleiten«, sagte Vikus.
»Was soll ich tun? Sie haben gesagt, ich soll mich bereithalten.«
Vikus überlegte einen Moment und rief dann Mareth herbei. »Nimm ihn mit ins Museum, lass ihn auswählen, was ihm für die Reise nützlich erscheint. Ah, da ist die Delegation von Troja«, sagte Vikus. Er trat in eine andere flatternde Wolke.
Gregor rannte hinter Mareth her, der zur Tür gelaufen war. Drei Treppen und mehrere Flure weiter gelangten sie in einen großen Raum voller überquellender Regale.
»Hier ist alles, was vom Überland heruntergefallen ist.Bedenke, dass du tragen musst, was du
Weitere Kostenlose Bücher