Gregor und die graue Prophezeiung
auswählst«, mahnte Mareth, als er ihm eine Ledertasche mit Zugband reichte.
In den Regalen fand sich alles von Baseballbällen bis Autoreifen. Gregor hätte sich die Sachen gern in Ruhe angeschaut, manche Dinge mussten Hunderte von Jahren alt sein. Doch Zeit war ein Luxus, den er jetzt nicht hatte. Er versuchte sich aufs Wesentliche zu konzentrieren.
Was könnte für die Reise nützlich sein? Was brauchte er im Unterland am dringendsten? Licht!
Er fand eine funktionierende Taschenlampe und nahm aus allen Geräten, die er finden konnte, die Batterien heraus.
Dann stach ihm etwas anderes ins Auge. Es war ein Kunststoffhelm, wie Bauarbeiter ihn trugen. Vorn hatte er ein eingebautes Licht, mit dem sie in den stockfinsteren Tunnels von New York sehen konnten. Er schnappte sich den Helm und setzte ihn auf.
»Wir müssen gehen!«, befahl Mareth. »Wir müssen deine Schwester holen und fliehen!«
Gregor wollte ihm gerade hinterherlaufen, als er es sah. Cola! Eine waschechte, ungeöffnete, nur leicht eingedellte Dose Cola. Sie sah ziemlich neu aus. Er wusste, dass das etwas völlig Überflüssiges war, dass er nur das Wichtigste mitnehmen sollte, aber er musste die Dose haben. Cola war sein Lieblingsgetränk, und außerdem erinnerte es ihn an zu Hause. Er stopfte die Dose in die Tasche.
Das Kinderzimmer war ganz in der Nähe. Gregorstürmte hinein und sah Boots, wie sie fröhlich mit drei kleinen Unterländern zusammensaß und Tee trank. Einen Moment war er drauf und dran, sie dort zu lassen. War es hier im Palast nicht sicherer für sie? Doch dann dachte er daran, dass der Palast bald von Ratten belagert sein würde. Dem konnte Gregor sie nicht allein aussetzen. Ganz gleich, was passierte, sie würden zusammenbleiben.
Dulcet half Gregor schnell, die Kindertrage aufzusetzen, und hob Boots hinein. »Nimm Tücher mit«, sagte sie. »Ein paar Spielsachen und etwas Süßes.«
»Danke«, sagte Gregor und war froh darüber, dass ihm jemand praktische Tipps für die Reise mit Boots gab.
»Lebe wohl, süße Boots«, sagte Dulcet. Sie küsste Boots auf die Wange.
»Tschühüs, Dul-cie«, sagte Boots. »Bis bahald!«
So verabschiedeten sie sich immer bei Gregor zu Hause. Keine Sorge. Ich komme wieder. Bis bald.
»Ja, auf bald«, sagte Dulcet, doch ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Alles Gute, Dulcet«, sagte Gregor und schüttelte ihr unbeholfen die Hand.
»Fliege hoch, Gregor der Überländer«, sagte sie.
In der Hohen Halle bereiteten sich die Auserwählten auf die Reise vor. Mehrere Fledermäuse hatten sich auf dem Boden niedergelassen und wurden jetzt mit Proviant beladen.
Gregor sah, wie Henry sich von einem spindeldürrenMädchen verabschiedete. Sie weinte hemmungslos, und er versuchte vergeblich, sie zu trösten.
»Die Träume, Bruder«, sagte sie schluchzend, »sie sind schlimmer geworden. Ein furchtbares Übel erwartet dich.«
»Quäle dich nicht, Nerissa, ich habe nicht vor zu sterben«, sagte Henry beruhigend.
»Es gibt noch andere Übel als den Tod«, sagte seine Schwester. »Fliege hoch, Henry. Fliege hoch.« Sie umarmten sich und Henry schwang sich auf seine samtschwarze Fledermaus.
Gregor wurde nervös, als das Mädchen auf ihn zukam. Wenn er Leute weinen sah, wusste er nie, was er sagen sollte. Doch als sie bei ihm war, hatte sie sich gefasst. Sie hielt ihm eine kleine Papierrolle hin. »Für dich, Überländer«, sagte sie. »Fliege hoch.« Ehe er antworten konnte, war sie schon wieder weg und lehnte sich an die Wand.
Er rollte das Papier auf, das kein Papier war, sondern irgendeine getrocknete Tierhaut. Darauf war in säuber lichen Buchstaben die »graue Prophezeiung« geschrieben. Verrückt, dachte Gregor. Er hatte sich gewünscht, sie noch einmal zu lesen, um sie vielleicht besser zu verstehen. Er wollte Vikus danach fragen, aber in der Hektik hatte er es vergessen. »Woher wusste sie, dass ich das haben wollte?«, murmelte er Boots zu.
»Nerissa weiß vieles. Sie hat die Gabe«, sagte ein Junge, der neben ihm auf eine goldene Fledermaus stieg. Erst aufden zweiten Blick erkannte Gregor, dass es Luxa war. Ihre Haare waren streichholzkurz geschnitten.
»Was hast du mit deinen Haaren gemacht?«, fragte Gregor und verstaute die Prophezeiung in der Hosentasche.
»Lange Locken sind gefährlich in der Schlacht«, sagte Luxa leichthin.
»Wie schade – ich meine, die kurzen Haare stehen dir auch gut«, sagte Gregor schnell.
Luxa prustete los. »Gregor der Überländer, glaubst du nicht,
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