Greifenmagier 1 - Herr der Winde
tun.« Dann setzte er nachdenklich hinzu: »Ich heiße Festellech Anweyer. Meine Ehre zerbräche, würde zerbrochen, wenn ich kleinen Mädchen wehtäte.«
Sein unbeholfenes Terheien klang seltsam beruhigend. Oder vielleicht lag das auch daran, dachte Kes, dass er sich so behutsam bemühte, sie zu beruhigen.
»In Ordnung«, flüsterte sie und tat einen Schritt in die Richtung, die er ihr wies.
Sie brachten sie hoch ins Gebirge, heraus aus der Wüste. Ungeachtet des eigenen Versprechens hielt Kes nach einer Gelegenheit Ausschau, sich davonzumachen und in die Wüste zu fliehen. Aber ihre Entführer waren vorsichtig, und so ergab sich keine solche Gelegenheit. Ein kleines Stück weiter warteten Pferde und noch mehr Männer. Kes dachte, dass die Pferde ihr vielleicht eine Fluchtmöglichkeit bieten würden, doch sie erhielt kein eigenes Reittier. Man hob sie stattdessen auf das Pferd des Fürsten, wo sie vor ihm saß. Kes protestierte nicht, empfand jedoch Verzweiflung; sie wusste, dass sie so hilflos wie ein Kaninchen in der Falle saß. Für sie war es unmöglich, vom Pferd zu springen; denn bei dem Versuch würde Festellech Anweyer sie festhalten. Und selbst wenn es ihr gelänge, sich seinem Griff zu entwinden - sie hätte keine Chance, zu Fuß den Reitern zu entkommen. Ihr blieb nichts weiter übrig, als sich klein zu machen, still zu bleiben und zu hoffen, dass sie den leuchtenden, eleganten Flug eines Greifen am heller werdenden Himmel erblickte. Sie sah jedoch nichts dergleichen.
Kes hatte unterwegs das Gefühl, dass der Ritt lange dauerte und dabei fortwährend in größere Höhen führte. Aber anschließend überlegte sie, dass es gar nicht so lange gedauert haben konnte, denn der Morgen war noch nicht ganz angebrochen, als sie die Grenze der Wüste zum Bergland erreichten. Die kalte Umgrenzung ihres Bewusstseins schien sie im eigenen Inneren einzusperren, und es fiel ihr schwer, Gedanken zu fassen. Ihr wurde jedoch klar, dass der Bindungszauber, den Kairaithin auf sie gelegt hatte, gebrochen und durch diese kalte Bindung ersetzt worden sein musste. Somit wusste sie, dass der kleine Magier sehr mächtig war, und fürchtete sich mehr denn je.
Als das Getrappel der Pferde vom dumpfen Klopfen der Hufe im Sand zum schärferen metallischen Klirren von Hufeisen auf Stein wechselte, blickte Kes auf. Sie empfand die Luft als kalt, seitdem die Männer sie im Schatten der roten Klippe gefunden hatten, aber jetzt war es eine andere Kälte, tiefer und wahrhaftiger der Welt zugehörig. Der Kaltmagier lehnte sich im Sattel zurück, und die Zügel entglitten den kleinen Händen und fielen schlaff auf den Hals des Pferdes. Er schien sich nun von einer starken Anspannung zu erholen, die Kes erst jetzt, als sie sich gelegt hatte, aufgefallen war. Alle wirkten erleichtert. Die Männer ringsherum lachten und redeten miteinander. Sie hoben Mäntel von den Sätteln und zogen sie an. Festellech Anweyer legte wortlos den eigenen Mantel um Kes; er selbst ritt mit unbedeckten Armen. Kes wickelte sich fester in den Mantel. Eine Form der Kälte ließ nach. Die andere tat es nicht.
Sie waren, wie ihr klar wurde, inzwischen viel höher in den Bergen, hatten die äußerste Grenze der Greifenwüste überschritten und ritten jetzt durch ein Land, das niemand beanspruchte, weder Greif noch Mensch. Sogar Schnee schimmerte im blassen Morgenlicht. Kes hatte sich zwar danach gesehnt, sich von der Wüste zu befreien, doch ihr Wunsch war es gewesen, nach Hause zurückzukehren, und nicht, gezwungen zu werden, zu einem verschneiten Pass im Hochgebirge zu reiten. Jetzt sehnte sie sich nach der Wüste, aber diese lag hinter ihr und schien mit jedem Schritt, den die Pferde zurücklegten, um Meilen weiter fort zu sein.
Endlich erreichten sie ein Lager. Sie ritten an zahlreichen Reihen von Zelten vorbei, ohne langsamer zu werden, und Kes stellte fest, dass es sich um ein sehr großes Lager handelte. Das Zelt, vor dem sie schließlich hielten, war dreimal so groß wie die übrigen, und Männer standen vor dem offenen Eingang. Fürst Anweyer stieg aus dem Sattel und streckte die Hände nach Kes aus, als wäre sie ein kleines Kind. Sie biss sich auf die Lippe, ergriff vorsichtig seine Arme und ließ sich von ihm auffangen, als sie von der Schulter des Pferdes rutschte. Er schien ihre Nervosität nicht zu bemerken und führte sie ins Zelt.
Weitere Männer traten ein - einige von ihnen waren auf dem Ritt dabei gewesen, andere, wie Kes glaubte, jedoch nicht.
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