Grenzen der Sehnsucht
hakt den Fall in wenigen Zeilen ab. Gerade so, als wäre im Grunde nichts Erwähnenswertes passiert. So wenig zum Thema findet sich sonst nirgends, in keinem Magazin und in keiner Tageszeitung. Selbst der Schwarzwälder Bote verliert darüber mehr Worte. Ein Affront, über den sich viele Schwule wundern.
Seit dem Wowereit-Outing sind drei Sommer vergangen, und Verlag und Redaktion von Sergej sind aus einem bescheidenen Prenzlberger Ladenbüro in ein durchgestyltes Dachgeschossloft mit Fensterfront gezogen. Der neue Standort befindet sich im nach wie vor trendigen Bezirk Berlin-Mitte. Die Geschäfte von Sergej mit der schwulen Szene laufen offenbar gut; der Ausblick von hier oben reicht bis weit über die City.
Olaf Alp, Herrscher über ein kleines Homo-Imperium, sitzt mir gegenüber auf einem Designersessel und schaut einen Stapel ungeöffneter Post durch. Rund ein Dutzend Mitarbeiter wuseln durch das Großraumbüro.
Alp ist ein richtiger Geschäftsmann, also einer jener Spezies von Mensch, die in Berlin eigentlich unter Artenschutz stehen müssten. Längst hat er nicht mehr nur das Gratismagazin Sergej unter seinen Fittichen. Vor einiger Zeit ging das schwul-lesbische Programm Blue Radio auf Sendung; nicht lange davor wurde im Untergeschoss die Edel-Homo-Disco Blue eröffnet, die aufgrund von Querelen mit dem Stadtplanungsamt allerdings wieder dichtmachen musste. Auch das Internetportal Eurogay hat er erworben, kurz darauf allerdings wieder abgegeben. Schwules Fernsehen ist ein Medium, mit dem er schon eine Weile liebäugelt. Konkret ist allerdings noch nichts. Sein Lieblingsprojekt ist das Hochglanzmagazin Mate, dessen neuste Ausgabe noch heute aus der Druckerei geliefert werden soll. Auf dem Tisch liegt schon mal das aktuelle Cover. Es zeigt einen dieser typisch ölglänzenden, aber durchaus professionell fotografierten Muskelmänner in futuristischem Ambiente.
„Sieht klasse aus, nicht wahr?“, sagt Alp und lächelt in diesem Moment das einzige Mal während unseres einstündigen Gesprächs. Aber nur ganz flüchtig. Olaf Alp, der Homo-Magnat, offenbart für einen winzigen Augenblick kindlichen Stolz. Eigentlich macht er im ersten Moment gar nicht den Eindruck des knallharten Geschäftsmannes, über den ehemalige Angestellte erzählen, dass Leichen seinen Weg pflastern. Der Enddreißiger ist eher von knabenhafter Erscheinung, die Stimme ruhig und sanft, die Haare sind schwulentypisch kurzrasiert. Statt Anzug und Krawatte trägt er nur weißes T-Shirt und Markenjeans.
„Ich gebe zu“, rechtfertigt Alp seinen Ruf, „dass ich meinen Produkten gegenüber loyaler bin als gegenüber meinen Mitarbeitern.“ Das hört sich definitiv nach Abgrenzung gegenüber jener West-Berliner Tradition an, ein schwules Unternehmen auch dann wie ein brüderliches Kollektiv zu führen, wenn dabei die Profitmaximierung flöten geht. Olaf Alp, der Eigenwillige – als Boss hat er zwar ein offenes Ohr für Ideen, bestimmt aber letztlich alleine, wo es langgeht. Wie in einem ganz normalen Unternehmen eben.
Wie kam denn eigentlich damals sein geringschätziger Kommentar über Wowereit zustande? „Ach ja“, erinnert sich Alp und unterbricht für ein paar Sekunden das Öffnen der Post. „Unsere Meinung war damals nicht allzu hoch von Wowereit, weil er sich erst unter öffentlichem Druck geoutet hat.“
Eigentlich habe man schon lange zuvor Anrufe aus der Senatskanzlei seines Vorgängers erhalten – mit dem Vorschlag, doch mal etwas über die Homosexualität des Rivalen in Sergej zu publizieren. Alp lehnte damals ab, weil er sich an dieser Intrige keinesfalls beteiligen wollte. Trotzdem ärgerte es ihn, dass sich Wowereit nie zuvor in der Bewegung engagiert hatte. Inzwischen hat er seine Meinung über ihn geändert. Anlass war eine Reise zum schwul-lesbischen Equality Forum in Philadelphia. „Dort habe ich Wowereit als einen aufgeschlossenen Homo unter anderen kennen gelernt, der bereit ist, etwas für die Szene zu tun.“ Zum Beispiel in Sachen schwul-lesbischer Tourismus, für den der Berliner Bürgermeister auf der US-Konferenz persönlich die Trommel rührte. Berlin, ließ Wowereit verkünden, sei eine tolerante und aufgeschlossene Stadt, die es sich zu besuchen lohne.
Erfunden hat das Stadtoberhaupt die Werbekampagne freilich nicht. Die Verantwortlichen für den Berlin-Tourismus nehmen Schwule schon seit den späten neunziger Jahren ins Visier. Dafür hat man sogar ganzseitige Anzeigen in schwulen US-Magazinen geschaltet.
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