Grenzwärts
sind sie sogar gelb oder braun, denn wir haben Herbst.
»Sind die noch hinter uns her?«
»Ja, aber in der falschen Richtung.« Jule zeigt nach links. »Die sind erst da übers Feld. Mit ihren ganzen Hunden. Dann kamen sie zurück und waren hier unter dem Baum. Wir haben schon gedacht, gleich sehen sie uns.«
Ja, war sicher knapp, denke ich. »Und dann?«
»Jetzt sind sie irgendwo da drüben.« Jule deutet nach … – Ich vermute mal eher Westen, wenn man nach den Sternenbildern geht, für eine genauere Bestimmung müsste man die Uhrzeit wissen.
»Ab und zu steigen da so Leuchtkugeln auf.«
Hah, denke ich, den Trick haben sie von mir. Ich war der Erste, der an der Neiße Leuchtraketen eingesetzt hat.
»Und die Hunde bellen auch noch manchmal«, fügt Jule hinzu. »Aber ziemlich weit weg.«
»Ja, die lauern an der Grenze auf uns.« Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Wahnsinn, gleich drei. Das heißt, ich war mindestens sechs Stunden völlig weggetreten! Was haben die Mädchen nur durchgemacht. Ohne mich. Oder besser mit mir.
Im Schlachtfeld lässt man die Verletzten zurück, wenn es der Gruppe dienlich ist. Aber Jule und Jelena dachten überhaupt nicht daran. Tapfere kleine Kriegerinnen. Aus denen wird was. Dankbar sehe ich sie an.
»Ist was?«
»Nein, nein«, ich versuche, eine analytische Miene aufzusetzen, »ich gehe unsere Optionen durch. Viele sind es nicht. In zweieinhalb Stunden wird es hell. Bis dahin sollten wir an der Grenze sein.«
»Aber du hast doch gerade gesagt, die warten da auf uns.«
»Ja«, nicke ich, »deshalb müssen wir es weiter nördlich versuchen.«
49
PÜNKTLICH UM DREI UHR hatte sich Roland unweit des Grenzübergangs an die Chopinstraße gestellt. Er wartete auf den Barkas mit Tom und den Mädchen, die hier, als Volleyballmannschaft getarnt, die Grenze passieren sollten.
Aber sie kamen nicht. Nervös lief Roland im Schatten der Bäume an der Kleingartenanlage entlang und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Noch immer trug er den gestrickten Wollpullover des Herrn Rouché, aber das war egal. Er würde ihn später zurückbringen.
Wo blieb der Bus? War etwas schiefgelaufen? An der Grenze war er jedenfalls nicht aufgehalten worden, das hätte Roland sehen müssen.
Er wartete bis vier, dann stieg er in einen kleineren Transporter seiner Firma, den er in Ermangelung eines anderen Fahrzeugs nutzte, bis sein Porsche wieder da war, und fuhr zurück ins Büro, um Tom anzurufen. Vielleicht hatte sich die Abreise verzögert, oder Tom wollte doch lieber tagsüber mit den Mädels einreisen, so wie er es ursprünglich vorgeschlagen hatte.
Als Roland in die Einfahrt zu seiner Spedition einbog, sah er dort seinen Wagen stehen.
Na bitte: Die Russen brachten den Porsche zurück. Und Roland würde ihnen Swetlana übergeben.
Lächelnd stieg er aus dem Transporter aus und ging auf die Russen zu, die mit unbeweglichen Mienen auf dem Hof standen und Marlboros rauchten.
»Alles klar«, sagte Roland, »ich hab das Mädchen wieder eingefangen.«
»Ist sie hier?«, fragte Valentin Gussinski.
»Nein.« Roland schüttelte den Kopf. »War mir zu riskant. Aber wir können da gleich hinfahren, wenn ihr wollt.«
»Gehen wir erst in dein Büro?«, fragte Igor.
»Nein. Wieso?«
»Nun, wir könnten einen Kaffee zusammen trinken. Oder Tee.«
»Okay.« Roland machte eine einladende Bewegung. »Ich hab’s nicht eilig.«
Er schloss die Tür zum alten Speicher auf und bat die beiden Russen hoch in den ersten Stock.
Sie waren kaum eingetreten, als sie Roland auch schon hart am Pullover packten, herumstießen und ihn schließlich gegen ein Aktenregal pressten.
»Willst du uns verarschen?«
Roland wusste gar nicht, wie ihm geschah. Glaubten ihm die Russen nicht? Dachten sie, er wolle ihnen eine Falle stellen?
»Hey, Jungs, langsam«, versuchte er sie zu beschwichtigen. »Ich weiß nicht, was für einen Film ihr am Laufen habt, meiner ist es jedenfalls nicht. Das Mädchen ist da. Wie abgemacht. Keine Gefahr, alles okay.«
»Nichts ist okay«, zischte Igor und ließ ein paar russische Schimpfworte folgen, die Roland allerdings nicht verstand.
Valentin hielt ihm währenddessen eine Postkarte aus Düsseldorf vor die Nase. Jene Postkarte, die Julia ihm geschrieben hatte, damit er sie vom Bahnhof in Dresden abholte.
»Woher habt ihr die?«, stammelte Roland verwirrt.
»Du kennst diese Karte?«
»Ja«, nickte Roland, denn sie war ja an ihn adressiert, sodass leugnen ohnehin zwecklos war. Zudem
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