Grenzwärts
schneller wir das hinter uns haben, desto besser!«
»Muss das sein?« Sie steht wie angewurzelt und zwirbelt unschlüssig die Haare. »Mit Sachen? Ich bin letztens schon so reingefallen.«
»Von mir aus komm nackt«, griene ich.
»Blödmann.« Jule schließt den Reißverschluss ihres Anoraks bis zur Brust und tappt schwankend und mit ausgebreiteten Armen ins Wasser.
»Auweia, ist das kalt«, flüstert sie entsetzt und beißt sich auf die Lippen.
»Nimm meine Hand!« Niedlich, dass sie sich so hat, denke ich. Macht mich irgendwie an. Jelena geht vorsichtig allein weiter. Die scheint nicht ganz so wasserscheu zu sein, auch wenn sie jedes Mal, wenn es etwas tiefer wird, erschrocken aufseufzt.
»Du kannst hoffentlich schwimmen?«
»Ja«, nickt Jelena bibbernd und schon bis zu den Schultern im Wasser. Dabei haben wir das eigentliche Flussbett noch gar nicht erreicht. Ich spüre, wie das Gras der Auenwiese um meine Beine streicht. Mit jedem Schritt krallt sich Jule fester an meiner Bomberjacke fest. Kalt umfängt uns die Nässe von allen Seiten, steigt immer weiter an uns hoch.
»Kudella, ich kann das nicht«, flüstert sie plötzlich sehr nah an meinem Ohr und schlingt zitternd beide Arme um meinen Hals. »Ich kann das einfach nicht.«
»Wir schaffen das schon«, beruhige ich sie. Ihre Nähe erregt mich. Ich spüre ihr langes Haar an meiner Wange, ihr zitternder Körper schmiegt sich furchtsam an mich, und ihr gesteppter Anorak fühlt sich wunderbar weich an im Wasser. Es macht mich total an. So sehr, dass trotz der Kälte mein Schwanz in der Hose steif wird.
»Wir schaffen das, Süße«, wiederhole ich und streiche ihr behutsam über den Rücken, »wir schaffen das.«
Jule hatte schon immer Panik vor dem Wasser. Die habe ich ihr nie nehmen können, obwohl ich ihr schon damals mit wahrer Engelsgeduld gezeigt habe, wie man schwimmt. Brust und Rücken, Kraulen und Delphin. Bin wie ein toter Mann auf dem Baggersee getrieben, um ihr zu zeigen, dass ein Mensch von Natur aus schwimmt. Dass er nur in Panik und mit den Lungen voller Wasser absäuft, weshalb es besser ist, immer die Ruhe zu bewahren.
Plötzlich wird es wieder flacher, der Grund steigt wieder an. Nach einer Weile reicht uns das Wasser nur noch bis zu den Knien. Jule lässt mich los und wringt zitternd den Saum ihres Anoraks aus. Er sieht aus wie zweifarbig. Da, wo er nass geworden ist, glänzt er dunkel, fast schwarz, und liegt eng und schwer an ihrem Körper an. Die Schultern dagegen und ein Teil der großen, mit Pelz verbrämten Kapuze sind noch trocken und schimmern braungolden in der aufgehenden Sonne.
Nur mit Mühe kann ich meine Augen von Jule abwenden. Ich muss mich konzentrieren, denn jetzt wird es schwierig. Vor uns liegt das eigentliche Flussbett. Kaum zwanzig Meter breit, aber mit starken Stromschnellen, gefährlichen Untiefen und einem Haufen Treibholz. Alte Baumstämme treiben zügig vorbei und die Reste eines hölzernen Jagdsitzes, den das Hochwasser wohl aus dem Gebirge mitgebracht hat.
Jelena bibbert in ihrem nassen Trainingsanzug. KSK Jelenia Góra, lese ich. Passt zu Jelena. Ob das gewollt ist?
Ich erkläre den Mädchen, was ich vorhabe, und zeige ihnen eine Geröllbank in der Mitte des Flusses etwas stromabwärts. Wie eine kleine, schmale Insel. Ein alter, knorriger Baum ist darauf festgewachsen, seine Äste reichen bis weit über das Wasser. Mein Plan ist, sich bis dorthin treiben zu lassen, um sich an einen der Äste zu klammern und auf die Insel zu ziehen. Sie dürfte wie eine Strömungsbremse wirken, zumal der Fluss dahinter eine Schleife nach Osten macht.
»Also nicht gegen die Strömung ankämpfen«, schärfe ich vor allem Jelena ein, denn sie muss allein schwimmen. »Treiben lassen, nur steuern, okay? Auf die Äste des Baumes zu, festhalten und raus.«
»Okay«, nickt Jelena zähneklappernd. »Und dann?«
»Auf der Rückseite der Geröllbank wird das Wasser ruhiger sein. Das ist dann Schwimmen wie im Badeurlaub«, versuche ich es aufmunternd, »nur kälter. Alles klar?«
Jelena nickt.
»Dann los!
Jelena stürzt sich in die Fluten und macht den Anfang. Mutig sind sie, diese Russenmädels, das muss man ihnen lassen. Mutig und zäh. Ein Stück weit flussabwärts taucht ihr Kopf wieder aus dem Wasser, sie krault mit großen Zügen auf den am weitesten überhängenden Ast zu und hält sich daran einen Moment lang prustend fest, bevor sie sich, wie ein kleiner nasser Affe, daran hochhangelt und triefend auf die Insel
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