Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
der Bäume versank. Die Versuchung, hinauszusteigen und alles hinter sich zu lassen, war übermächtig. Er lehnte sich mit dem Rücken an das kalte Mauerwerk und atmete schwer ein und aus. Was sollte er tun?
Nach einer Weile tauchten vor seinem inneren Auge Bilder auf: Joanna, die bewusstlos in seinen Armen lag, der Blick in den Spiegel an seinem ersten Abend in Greystone, Jake, der ihn um Hilfe bat. Ian ballte die Hände zu Fäusten. Seine Verzweiflung verwandelte sich in Wut und schließlich in Entschlossenheit. Jake und Joanna hatten gewusst, wen sie mitnahmen. Er würde sich nicht länger hinter seinem Schweigen verstecken! Sein Vater sollte nicht die Genugtuung erhalten, ihn in der Akademie scheitern zu sehen. Fünfundzwanzig demütigende Jahre waren genug.
Ian richtete sich auf und hob den Kopf. Er konnte die Notizen nicht lesen. Er brauchte Unterstützung. Und er wusste, von wem er sie bekommen würde.
6
„Galad, ich brauche deine Hilfe.“ Ian saß mit Galad alleine beim Frühstück, da Jake und Joanna bereits am frühen Morgen nach Kerlington aufgebrochen waren. Der junge Lehrer nickte zum Zeichen, dass er weitersprechen sollte. „Die Unterlagen, die mir Jake gegeben hat, ich … ich kann sie nicht lesen“, sagte er, setzte aber hastig hinzu: „Ich kann lesen, aber nichts so Schwieriges. Deshalb wollte ich dich bitten mich zu unterrichten.“
Galad lächelte wissend, als ob er diese Frage erwartet hätte. „Wann möchtest du anfangen?“
„Am besten sofort, das heißt natürlich nach dem Frühstück.“
„Ja, nach dem Essen ist besser. Ich habe gehört, Joanna reagiert leicht gereizt, wenn man dir eine Mahlzeit vorenthält“, erwiderte Galad belustigt, während Ian bereits in ein Stück Käse biss. „Ich schlage dir folgendes vor: Jakes Aufzeichnungen lese ich dir vor und zeige dir auch die entsprechenden Felder, damit du heute Abend mit ihm darüber reden kannst. Wenn das erledigt ist, beginnen wir mit dem Unterricht.“
Den Vormittag verbrachten sie mit den Notizen des Earls und bis zum Mittag hatte sich Ian eine gute Übersicht über die landwirtschaftlichen Möglichkeiten von Greystone verschafft. Anschließend begaben sich die zwei Männer zu Galads Studierzimmer im Obergeschoss. Der junge Lehrer öffnete die Tür und Ian trat ein. Ein kunstvoll gearbeiteter Schreibtisch, der vor dem Fenster stand, beherrschte den Raum. Entlang der linken Wand reihten sich hohe Regale voller Bücher, Pergamentrollen und Landkarten. In der Ecke auf der gegenüberliegenden Seite entdeckte Ian eine Laute, daneben eine Truhe, die mit fremdländischen Mustern verziert war. Rechts neben der Tür befand sich der Kamin, vor dem drei Sessel standen. Obwohl das Zimmer gemütlich wirkte und sein Interesse weckte, hätte Ian am liebsten einen Rückzieher gemacht. Die Vorstellung, wie ein Schuljunge vor Galad zu sitzen, gefiel ihm nicht.
Galad schloss die Tür und ging zu einem der Bücherregale. „Ian, schau dir diese Werke hier an und nimm das heraus, welches du am besten kennst. Lass dir Zeit, ich muss noch Unterlagen am Schreibtisch sortieren.“
Neugierig ging Ian zu dem Regal und studierte die Titel auf den Buchrücken. Einige Bücher kannte er tatsächlich, oft nur dem Namen nach, aber immerhin. Dann fiel sein Blick auf ein in hellbraunes Leder gebundenes Exemplar: Der Weg des goldenen Flusses . Das war Charlottes Lieblingsbuch, ein Liebesroman, der an einem Königshof spielte. Sie hatten oft zusammen darin gelesen, und so nahm er es heraus.
„Du hast ein Buch entdeckt?“ Galad stand auf und winkte ihn zu sich herüber an den Schreibtisch. Er räumte die Tischplatte frei, bedeutete ihm sich zu setzen und stellte Papier, Feder und Tinte vor ihn. „Bitte schreib auf, von was das Buch handelt.“
Zunächst fiel es Ian schwer, seine Gedanken in Worte zu fassen. Mit der Zeit wurde es besser und er lockerte den Druck auf die Feder.
Galad, der währenddessen seine Unterlagen in ein Regal eingeordnet hatte, trat hinter ihn und überflog anerkennend das vollgeschriebene Blatt. Dann nahm er den Roman, schlug ihn auf und legte das Buch vor Ian. „Lies mir vor.“
Ian blickte auf die Seiten. An die gewählte Stelle erinnerte er sich gut und das gab ihm Sicherheit. Auch das Vorlesen wurde flüssiger, je länger er las. Als er das Kapitel beendet hatte, klopfte es an die Tür des Studierzimmers und ein Diener trat mit Wein und süßem Gebäck ein.
„Zeit für eine Pause“, sagte Galad und ging zu den
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