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Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht

Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht

Titel: Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Jury fragte sich, welche Weisheit man erwarb, wenn man in irgendwelchen engen Seitenstraßen Menschen in diesem Zustand betrachten mußte: eine alte Dame, bös verprügelt, aber sie atmete noch. Ein übelriechender Wind fegte durch den Ziegelsteingang, der von den Pembroke Villas abging; er wehte den Abfallgestank aus den Mülltonnen herbei und zerzauste ihren Spitzenkragen. Ihre beinahe durchsichtigen, blaugeäderten Augenlider öffneten und schlossen sich unentwegt.
    Sie hatten ihr die Geldbörse entrissen; sie hatte ihnen aber noch erzählen können, daß sie nur vier Pfund und ein paar Münzen bei sich gehabt hatte. Allerdings hatte die alte Dame keine Lehre erhalten, von der sie, um einiges weiser geworden, noch Gebrauch machen konnte.
    Kamir auch nicht. Und auch die Sanitäter nicht, die sie vorsichtig auf eine Bahre hoben. Ihre Lider flatterten, und ihre schmalen Lippen bewegten sich und wiederholten, daß sie doch nur die vier Pfund gehabt hatte.
    Kamir, dessen sanfte Stimme noch sanfter wurde, als er sah, welch große Angst die alte Frau hatte, flüsterte ihr etwas zu, das Jury nicht verstand. In seinem Zustand hörte er die üblichen Hintergrundgeräusche der Stadt und das Zuknallen der Krankenwagentüren allerdings ohnehin nur gedämpft.
    »In der Zentrale wurde mir gesagt, Sie seien hier.«
    »Meine Schwester, meine ältere Schwester, ist so gestorben«, sagte Kamir. Die Seiten seines Notizbuchs gerieten in der übelriechenden Brise durcheinander.
    Jury wußte nicht, was er dazu sagen sollte. Egoistisch überlegte er, ob er dieser Kette verheerender Ereignisse seinen eigenen Kummer noch hinzufügen durfte. »Ihre Schwester.«
    Kamir nickte. »Wie diese alte Frau wurde sie auf dem Heimweg in ihr kleines Reihenhaus angegriffen. Wahrscheinlich haben sie ihr das Gesicht so schlimm zugerichtet, weil es ausgesprochen schön war. Sie wissen, bei uns ist es Sitte und auch Teil unserer Religion, daß Frauen einen kleinen Diamanten im Nasenflügel tragen.« Er griff sich selbst an die Nase. »Es war ein winziger Diamant. Ich kann immer noch nicht glauben, daß sie ihr die halbe Nase abgeschnitten haben, um an den Diamanten zu kommen. Nein.«
    Weit hinten in der Lewisham Road hörte Jury den Krankenwagen heulen.
    »Sie zogen ihr den Sari aus. Aber die Unterwäsche nicht
    - sie wurde weder vergewaltigt noch sexuell belästigt. Aber sie nahmen den Sari mit, wickelten ihn von ihrem Körper ab, und das fand ich merkwürdig. Bis ich begriff, daß sie sie einer verhaßten Tradition berauben wollten.« Er schloß das Notizbuch und sagte: »Ich glaube, ich bin nicht zum Polizisten geboren.«
    »Wer ist das schon?«
    Kamir sah zu Jury hoch, der viel größer war als er, und nickte. »Nach dem, was ich gehört habe, Sie vielleicht. Sie haben den sechsten Sinn, die Intuition.«
    »Das bezweifle ich.«
    »Vielleicht können wir irgendwo hingehen, wo man sich besser unterhalten kann. Um die Ecke ist ein Café.«
    Er ging zu dem Polizeifahrzeug, sagte etwas zu den beiden Männern dort und kam zurück, um sodann mit Jury den Durchgang hinunterzulaufen.
    Die »frisch zubereiteten« Sandwiches und Brötchen unter den Plastikglocken in dem Café sahen alt und schlaff aus, obwohl es noch nicht einmal zehn Uhr morgens war. Dieselben säuerlichen Düfte, nun vermischt mit etwas ekelerregend Süßem - vielleicht dem Geruch des zuckersüßen Gebäcks -, durchdrangen die enge Imbißstube. An der einzigen Theke entlang der Wand saßen Jury und Kamir.
    Kamir starrte in seine Tasse stark gesüßten Tees, die Jury ihm gebracht hatte, und sagte, während er langsam darin herumrührte: »Es tut mir leid wegen Mrs. Holdsworth, Ihrer Freundin.«
    »Ja.« Jury rührte seinen Tee nicht an. »Woher wußten Sie, daß sie meine Freundin war?«
    »Ach.« Kamir nahm einen Schluck. »Aus dem Adreßbuch. Ihre Adresse war auch darin.«
    »Natürlich.«
    »Und der Kalender. Den in der Küche muß sie als Terminkalender benutzt haben. Termine, Einladungen zum Abendessen.«
    Jury war überrascht. Er hatte nur einmal gesehen, wie sie einen Arzttermin darauf gekritzelt hatte. Aber in die Küche hatten sie sich nur selten verirrt. Zum einen war sie eine lausige Köchin. Er mußte lächeln. Aber nur kurz, denn die Erinnerung schmerzte. Dann bemerkte er, daß Kamirs Blick auf sein Gesicht geheftet war. »Wie bitte?«
    »Zwei Dinge«, sagte Kamir. »Das eine, warum haut ihr Sohn durch das Badezimmeroberlicht ab? Ich habe nur versucht, etwas zu arrangieren, wo er

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