Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
Vom Netzwerk:
angeschlichen, streckten ihre Fühler nach ihm aus, knabberten an seinem Drahtzaun und hätten ihn wohl überrannt, wäre er selbst nicht schon am Waldrand angesiedelt gewesen. Mit arger Besorgnis beobachtete er die Annäherung sozialer Unumgänglichkeiten. Schräg stellten sich seine Augenbrauen, runzelnd verknitterte sich seine Stirn, das aufbrausende Ankommen der Neu-Siedler war nicht zu stoppen, einer urgewaltigen Welle gleich. Verdammt aber auch. Hundsvolk, verrecktes.
    Er wollte alleine sein.
    Und doch war es irgendwann nicht mehr zu ändern. Ein direkter Nachbar stellte sich vor. Nicht im Sinne eines freundschaftlichen Bekanntmachens. Nein. Er stellte sich mit seinem Haus direkt vor das Haus von Zacharias Locher.
    O weh. Der Atem der Gesellschaft im Nacken passte Locher nicht. Zähe Nachbarschaftsprobleme schlugen gegen das Innere seines Kopfes. Und weil alles andere nicht half, versuchte Zacharias auch, wie in der Welt der ankommenden Nachbarn so üblich, mit Brot und Salz eine Verbindung herzustellen. Respekt und Humanität sind aber keine Einbahnstraßen, und nicht jeder Deckel passt zu jedem Topf, und so blieb Zacharias, was er war. Was die Menschen in ihm sahen oder sehen wollten. Ein Einsiedler, der schon immer da gewesen war und den man allenfalls dulden, aber nicht mögen musste. Dieses Bild wurde 1:1, quasi fußballergebnismäßig, von der menschlichen Umwelt auf August Locher übertragen, und zwar ab dem Tag, als er bei Zacharias eingezogen war. Zacharias/August Locher war/ist:
    »Der seltsame Eigenbrötler. Den kennen S’ doch, oder? Wohnt hinten am Wald, wissen S’. Kennen S’ den nicht? Schon, gell. Jaja, der mit dem komischen Schneckenhaus und der Holzhütte. Mei, ich hab mit dem noch kein Wort geredet. Ist bestimmt minderbemittelt. Eine seltsame Kreatur ist das halt. Ich möchte dem nicht bei der Nacht begegnen. Wissen S’ was – bei Tag auch nicht so gern. Schaut immer weg, sofort. Den könnt man gar nicht begrüßen, wenn man wollen würd, sag ich mal. Aber wer will das schon, gell? Ich schau dem nicht in die Augen. Ja, nein. Er ist halt, wie soll man sagen, ich denk, der spinnt halt. Vielleicht eine Krankheit, oder wie. Ist auch immer gleich angezogen. Im Sommer wie im Winter, gell. Also, und im Haus muss es ja aussehen. Nein, drin war ich noch nicht bei dem, Sie wären ja nett. Aber man hat so seine Gefühle, gell. Und Vermutungen. Mit Verlaub, ich glaub, der riecht, oder? Schon gell, so schaut er aus, jaja. Ein Hexenhaus ist das. Ich möchte nicht wissen, wo der Teufel in dem Haus seinen Dreizack hat. Da geht nix mit rechten Dingen zu. Ich bin mir fast ziemlich genau sicher, dass da drin vielleicht sogar Unheil und Niedertracht beheimatet sind. Der hässliche Holzschuppen ist doch bestimmt ein Lager für pornographische Zeitschriften, ich bitt Sie, man hat doch so seine Gedanken, Entschuldigung. Ich bin ja noch nie hingegangen, das werd ich auch nicht. Pah, was meinen Sie denn, da bekommt man es ja mit der Furcht zu tun. Angst und bange wird’s einem. Aber man kann ja nix dagegen tun, nicht wahr, nix. Oder, gell? Seltsamer Aussiedler, der Locher.«
    Eine obligatorische Darstellung des alten Lochers früher, des jungen Lochers jetzt, bei einem Allerweltsplausch zwischen sagen wir mal Metzgermeister und Hausfrau. Wenngleich bar jeder Objektivität.

    Aufsauger
    Die Sonne kitzelt die Luft. Heiß und flirrend brodelt der Sauerstoff durch die Hinzestraße. Durch alle anderen auch, wobei man »alle« wieder regional eingrenzen sollte. Ist ja nicht überall auf der Erde gleiches Wetter. Das weiß jeder.
    August Locher mäht seinen den Holzschuppen umgebenden Rasen. Er drückt, schiebt und zieht seinen Benzinrasenmäher der Marke Briggs & Stratton über das Grün. Zwei Kilowatt schneiden das Gras in gleich lange Halme. Einen Auffangbehälter hat das Gerät nicht, er muss später den Schnitt mit dem Rechen zusammenkratzen, bevor er das Gras über den Zaun unbemerkt in den Wald befördert. Hitze und Hautjucken machen August zu schaffen. Er schwitzt – nicht nur leicht. Seine graue Stoffhose hängt ihm über die Taille, an seinen Hosenenden klebt Frischgemähtes. Sein Hemd, jägergrün, ist fast bis zum Nabel geöffnet. Es überdeckt die Poritze nicht, welche sich aus dem Gürtel bohrt. Bäche und Seen ziehen sich über seine Kleidung. Die trockenen Stellen sind in der Unterzahl. Dieser Tag würde die Haut verbrennen. Locher hat seinen Parka an. Genau deswegen. Und genau deswegen sieht man

Weitere Kostenlose Bücher