Grimms Erben
lass dir doch das Gold rausmachen… aus dem Gesicht.«
Sein Sänften-Ich meint dazu: »Aber dann bin ich ja nichts mehr wert.«
»Du hast doch immer noch deinen Kopf, ein Gesicht braucht doch kein Mensch«, schlaumeiert der eine.
»Das Gesicht muss man wahren, selbst wenn es aus Gold ist«, philosophiert der andere.
Plötzlich beginnen beide Ichs zur Melodie von »Somewhere over the Rainbow« den Text von »Yellow Submarine« zu singen. In diesem Moment schwebt die Cernak herbei, prunkvoll verkleidet als Glinda, die gute Hexe des Nordens, nimmt sein goldenes Antlitz in beide Hände und küsst ihn sanft auf den Mund, der nun dem Blechmann aus »Der Zauberer von Oz« zu gehören scheint.
Der Unsinn nimmt überhand, Locher wacht auf.
Er öffnet die Augen und erschrickt. Das Erste, was er sieht, sind eine Sultanfeder und ein Krummsäbel.
»Jessas, Jessas…«, brummt er verschlafen. »So was.«
Noch drin — im Traum?
Aber es sind nur Wolken am blauen Firmament, die den beiden orientalischen Utensilien ähneln. Sein Büchlein liegt neben ihm, das mit dem Aufsaugen hat wohl heute nicht so geklappt. Er nimmt kurz seine Brille ab, reibt sich die Nasenwurzeln, setzt die Gläser wieder auf.
Ein 180-Grad-Blick teilt Locher mit, dass das Freibad mittlerweile gut besucht ist. Größere Familien, pubertäre Jugendliche, Kids und Frechdachse aller Art, ältere Herrschaften und Sportler tummeln sich mittlerweile in der städtischen Badeanstalt.
Wie lange hab ich denn geschlafen?, fragt sich Locher.
Warum er so geträumt hat, fragt er sich nicht, weil er und auch Sie, also wir alle träumen ja oftmals ungereimten Mist.
Locher rappelt sich auf und lehnt sich wieder an den Baum. Eigentlich will er schleunigst weg, es war nie seine Absicht, unter diesen Massen auf der Liegewiese zu verweilen. Die Cernak lässt sich doch nicht blicken.
Locher fabuliert: Glinda Cernak, die gute Hexennixe aus dem Norden.
Offenbar setzen Ozonstrahlung und Chlorduft Lochers Denkapparat unter Betäubung. Phantastische Verwirrung kommt auf. Und ein Lächeln.
Ein paar kleine Buben stehen wenige Meter von ihm entfernt und lachen. Einer sagt immer: »Der muss ja schwitzen, dem muss ja heiß sein.« Andere grinsen. Der Kleinste pisst mitten auf den Rasen.
Locher winkt ihnen freundlich zu. »Na, ihr Lümmel?«
Die Jungs sausen erschrocken weg und drehen sich erst wieder an ihren Liegeplätzen um, was etwa hundert Meter entfernt ist. Nur der kleine Pisser steht noch vor ihm. Er grinst blinzelnd, da die Sonne ihm ins Gesicht scheint. Mit gekreuzten Beinen und am Pimmel drehend, meint er trocken: »Du bist der Blödi, stimmt’s?«
Locher reißt die Augen auf. »Was?«
Der Kleine wiederholt: »Bist doch der blöde Heini, nicht?«
»Wer sagt denn so etwas?« Locher ist grau im Gesicht.
Der Junge rennt weg, anfangs in eine andere Richtung, als es seine Freunde oder Brüder taten, dann schlägt er den Weg zu deren Liegeplatz ein.
Der blöde Heini. So ein Witz.
»Ich bin der Utopier!«, schreit ihm Locher hinterher.
Weg hier, bloß heim.
Locher manövriert behände sein Buch in eine Außentasche seines Anoraks und steht auf. Gerade will er den Zehendesinfektionsapparat ansteuern, weil die Gesundheit der Füße für Locher eine hohe Wichtigkeit besitzt, da springt ihm eine Person ins Auge. Eine weibliche Schönheit, knackig frisch, nur mit pinkfarbigem Seidenblouson und ebensolchem Bikini bekleidet, stolziert sie wie ein Flamingo über die Liegewiese, manövriert ihren Luxuskörper geschickt um die bereits ausliegenden Handtücher. Ein rosafarbenes Frottee-Stirnband bändigt ihre blonde Mähne, die wie eine Flamme bei jedem Schritt auf und ab züngelt. Das makellose Braun ihrer Seidenhaut blinkt pulsierend. Die runden Weiblichkeiten wackeln ansprechend im Takt. Hinter ihr weht eine Fahne aus Parfüm und Haarspray, rein und verführerisch und einige Fransen dieser Duftfacette reichen so weit, dass sie Locher in der Nase kitzeln. Er wird heiß, also ihm wird heiß. Er nestelt an seinem kakifarbenem Hemdkragen.
»Ui, tatsächlich.« Er geht in die Knie, weil er denkt, in dieser Position deutlicher erkennen zu können. Er nimmt in dieser Hockposition seine Brille ab, versucht sie an seiner speckigen Jacke zu säubern, setzt sie wieder auf.
»Ui, tatsächlich. Die Cernak.«
Nachdem er seine Kleidung hinter der Linde penibel zusammengelegt hat, schleicht er dorthin, wo er die Cernak hat verschwinden sehen. Im Schwimmerbecken. Das ist frappant. Denn
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