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Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
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den Leuten?
    Locher schüttelt den Kopf. Schmerz und Enttäuschung prallen in ihm aufeinander.
    Aber sie mag mich. Die Cernak hat mich gern.
    In diesen Satz schlägt er seine Pickel und Steigeisen und zieht sich daran hoch.

    Irrlichter
    Locher: »Bist seit meinen ersten Tagen mich begleitend allen Lagen.«
    Wald: »…aus meinem Innern ich heraus geb’ dir sehr viel jahrein, jahraus.«
    Die Bäume hinter Lochers Grundstück wiegen leicht ihre Köpfe, wispern beruhigende, tröstende Worte frei nach Franz Waldl. Sie schaukeln ihre grünen Nadeläste beschwichtigend auf und ab. Zwei Tannenzapfen sausen zu Boden und schlagen kurz nacheinander auf dem Locherrasen ein. Es klingt, als würden sie sagen: »Kopf hoch.«
    Locher bedankt sich, und ein kurzes Rauschen dringt aus den Bäumen. Vielleicht war es nur der Wind. Locher geht in den Schuppen, greift beim Eintreten mit der Fingerspitze an die scharfe Spitze eines Geweihs.
    So hart, so scharf, so kantig möchte ich sein. Hörner möchte ich haben.
    Trost will er finden. In seinem Refugium, seinem Schlupfloch, in der von totem Horn bewachten Hütte. Trost will er finden. In einem schlichten Märchen. Er blättert planlos in Großvaters großem Schatz, der alten, antiquierten Ausgabe der Grimmschen »Kinder- und Hausmärchen« von 1896. Der Daumen lässt die Seiten springen. Wohliger Duft flattert um seine Nase, Erinnerungen im Gepäck.
    Wahllos hält er bei einigen Seiten an.
    »…Knüppel aus dem Sack.«
    Ja genau.
    »Das kleine Entchen.«
    Das hässliche Entlein, oder was?
    »Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen.«
    »Der Gevatter Tod.«
    Ja, ist denn das zu fassen?
    »Lieb und Leid teilen.«
    »Das Unglück.«
    »Das Totenhemdchen.«
    »Des Teufels rußiger Bruder.«
    Beängstigend. Ja, finde ich kein Heil heute?
    Locher zündet in der Hütte drei dicke Kerzen an. Einige goldene und silberne Titel der Buchrücken blitzen im flimmernden Schein auf. Wohliges Licht verbreitet nun auch eine ruhige Stimmung. Er legt sich rücklings auf den staubigen Holzboden, die Beine ruhen hochgelegt auf der knorrigen Sitzbank.
    Im Kerzenschein tanzen Staubteilchen um die Flamme, steigen auf und wirbeln aus dem Lichtstrahl. Wie Goldregen sieht das aus. Er blättert liegend weiter.
    »Der alte Großvater und der Enkel.«
    Das ist es.
    Locher liest, vom Titel der moralischen Parabel aufgemuntert, einige Seiten und verliert sich noch in sieben weiteren Märchen der Gebrüder Grimm.
    Eine halbe Stunde später schreckt er aus der märchenhaften Verschnaufpause auf. Hat er nicht gerade ein Geräusch gehört? Eine Art Klopfen? Innehaltend horcht er nach allen Seiten.
    Nein. Er täuscht sich.
    Die Beine sind ihm eingeschlafen. Nur mühsam kann er sich auf den Beinen halten. Er bläst die erste der drei Kerzen aus. Kräuselnd steigt Rauch auf. Der Rücken ist verspannt, er streckt sich. Da, wieder. Ein Knacken. Die eingerostete Wirbelsäule wahrscheinlich. Ein Knistern. Aber warum riecht es so? So…so… verkokelt?
    Die Kerzen? Nein. Zwei brennen noch still und friedlich und verströmen Bienenwachsduft.
    Locher wird unruhig, da ist noch etwas anderes.
    Das ist doch… ist doch… Feuer!
    »Grimm und Ingrimm!«, entfährt es Locher, der jetzt an der Eingangstür zur Hütte tatsächlich Rauch und Funken wahrnimmt. Es brennt.
    Wie kann das sein? So was gibt’s doch nicht.
    Er rennt zum Eingang, wirft sich gegen die Tür. Seine Schulter knallt gegen das harte Holz. Nichts. Sie bewegt sich keinen Millimeter. Es züngeln Flammen von unten ins Innere, Rauch dampft in die Hütte. Er rüttelt heftig am eisernen Hebel, drückt mit aller Macht gegen die Holzlatten. Nichts. Panik kriecht aus dem Magen in Richtung Extremitäten.
    »Hilfe! Verbrennung! Verbrennung!«
    Um Himmels willen, fährt es Locher durch die Adern, die ganzen Bücher.
    »Holt uns hier raus!«, brüllt er.
    Er stürmt zur Fensterluke, reißt das Türchen auf und will seinen Kopf hinausstecken. Zu groß, der Kopf. Er verhakt sich im Rahmen. Mit Mühe, Schmerzen und verbogener Brille kann er ihn wieder befreien. Bei dieser ruckartigen Bewegung stößt Locher mit dem Knie Großvaters Bibel, die »Kinder- und Hausmärchen«, von der Sitzbank. Das wertvolle Kleinod purzelbaumt gegen die Eingangstür. Dort, wo es zum Liegen kommt, wird ihm heiß. Panische, stumme Schreie tönen aus den Kehlen der Märchenfiguren. Locher hört sie nicht. Im Gegenteil. Er schreit selber.
    »Hilfe! Wir sind hier drin.« Und auch wirres Zeug wie:

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