Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
Vom Netzwerk:
Uferbänken standen, die einen hoch zu Kamel, der andere
     zu Fuß, und alle drei riefen: »Hund, komm her!« Naidang sah unbeteiligt zu und ließ sein Pferd trinken, denn er wollte erst
     in der Nacht heimreiten. Die Kamele drängten auch zum Wasser, und Glück sagte ruhig: »Es gibt keine Hilfe, die Hunde fressen
     sich.«
    »Nein«, schrie Christian verzweifelt und hob den Daschior. Er wollte sein Kamel antreiben, damit es zum Kampfplatz eile, aber
     Ungemach fiel ihm in den Arm.
    »Nicht nötig«, rief Ungemach, »warte zwei Augenblicke.«
    Er ließ sich vom Kamel gleiten und hob zwei Steine auf. Dann peilte er sehr genau und sehr ruhig über den ausgestreckten Zeigefinger
     der linken Hand und warf. Der gelbe Hund des Herrn Ping, der gerade obenaufgekommen war, tat einen Luftsprung und heulte laut.
     Er lief davon, und der Pudel stürzte ihm nach. Aber da hatte Ungemach schon zum zweiten Mal gepeilt und auch geworfen.
    »So«, sagte Ungemach, »diese Sache ist entschieden.«
    Man hörte ordentlich, wie der Stein auf das Hinterteil des Pudels prallte, man sah, wie er einknickte, und dann kam er winselnd
     zur Sandbank zurück.
    Christian und Großer-Tiger staunten, Glück staunte auch, und Naidang wandte sich im Sattel um. Er hob beide Daumen steilzum Himmel und rief: »Ein treffender Stein! Ein überaus treffender Schütze!«
    Am andern Ufer stand Herr Ping. »Du hast meinen Hund totgeworfen«, rief er herüber, »mein Hund ist zu neun Zehnteln nicht
     mehr lebendig. Du musst zahlen.«
    Allein Ungemach tat nicht dergleichen. Er stieg in den Sattel, und während die Kamele umständlich Wasser schlürften und spritzten,
     sagte er entschuldigend: »Eigentlich wollte ich es nicht tun; ich bitte die Herren Hundebesitzer um Vergebung.«
    »Davon kann nicht gesprochen werden«, rief Großer-Tiger, »du bist ein Meister der Treffsicherheit.«
    »Wie machst du das?«, erkundigte sich Christian, »ich bitte um Unterricht im Steinewerfen.«
    »Zu viel der Ehre«, murmelte Ungemach geschmeichelt, »aber es geht nicht. Es geht wirklich nicht.«
    »Gibt es keinen Weg, diese Kunst zu erlernen«, fragte Großer-Tiger enttäuscht, weil er auch gern mitgemacht hätte.
    Ungemach sagte: »Es gibt einen Weg, aber er ist lang. Mein Großvater lehrte mich die Steine, und mein Vater machte mich im
     Werfen vollkommen. Wer in den Bergen von Labrang kein Gewehr besitzt, muss verstehen, den Stein zu werfen. Ich war ein Knabe,
     und ich übte jeden Tag, wenn ich die Ziegen hütete. Als ich auf fünfzig Schritte einen Baum nicht mehr fehlte, starb mein
     Großvater. Drei Jahre später fehlte ich eine Stange selten, auch wenn sie hundert Schritte weg war. Als ich sie nicht mehr
     fehlte, starb mein Vater. Da hatte ich keine Angst mehr vor wilden Hunden und einzelnen Wölfen. Doch da wurde ich Soldat und
     lernte schießen. Schießen ist aber keine Kunst«, sagte Ungemach, »durch Schießen habe ich die Sicherheit im Werfen verloren.
     Ich müsste zwei Jahre üben, sie wieder zu erlangen. Ihr habt ja gesehen, wie schlecht ich warf.«
    Alle schauten verwundert auf Ungemach, und Ungemach sagte kleinlaut: »Ich wollte euern Hund bloß streifen; entschuldigt meine
     Unfähigkeit.«
    Inzwischen hatten die Kamele und das Pferd eine Menge Wasser getrunken, und Naidang ritt voraus über den Morin-Gol. Die Hufe
     klapperten über den Kies, und die Sohlen der Kameleschoben ihn knirschend auseinander. Auf der Sandbank lag der Pudel und wartete.
    »Hund«, tadelte Christian, »du hast dich schlecht benommen.«
    »Hund«, mahnte Großer-Tiger, »du solltest auf unsere Worte hören.«
    Der Pudel versuchte, mit dem Schweif zu wedeln, aber es ging schlecht, weil ihm das Kreuz weh tat. Er trottete neben Großer-Tiger
     und Christian her, schlabberte Wasser, sooft es über ein Rinnsal ging und blickte zum andern Ufer, wo sich sein Gegner zurückzog,
     als die Reiter näher kamen.
    Herr Ping, der Naidang erkannt hatte, war ganz getröstet.
    »Oh«, rief er freudig bewegt, »ich begrüße den ehrenwerten Herrn Bilderbogen. Habt Ihr eine gute Reise gehabt, alter Onkel?«
    »Wie geht es deinem Hund?«, erinnerte Naidang.
    »Ausgezeichnet«, sagte Herr Ping, »es könnte ihm nicht besser gehen.«
    Dabei warf er einen wütenden Blick auf Ungemach. Er lächelte aber gleich wieder, als er die rote Seidentroddel an Glücks Pistole
     bemerkte, und als er sah, dass Glück mindestens so elegant aus dem Sattel sprang wie ein Herr Hauptmann, der jeden Tag zum
     Vergnügen

Weitere Kostenlose Bücher