Großer-Tiger und Christian
»es war kein Vergnügen.«
»Dummes Zeug«, brummte Grünmantel.
»Immer stürzt irgendwo was ein«, verteidigte sich Ma, »und dann erschrickt man. Es ist kein guter Ort.«
»Weiß schon«, knurrte Grünmantel. »Lass das Schwatzen. Es taugt nicht, die Zeit zu verplempern. Hier ist die Schatulle.«
»Ich habe mir die Sache überlegt«, sagte Ma, »viertausend sind zu viel.«
»Viertausend sind zu wenig, du schäbiger Beutelschneider.«
»Dreitausendfünfhundert und nicht mehr.«
»Viertausend.«
»Unmöglich«, jammerte Ma, »was ist, wenn ich es nicht loswerde?«
»Dann ist deine Dummheit schuld. Ich will dir sagen, wie du es machen musst. Kutschen-Se ist natürlich kein Platz für solche
Ware. Du musst sie auf dem Rückweg bis Peking mitnehmen. Dort kriegst du, wenn du geschickt bist, von einem Ausländer das
Doppelte.«
»Und weshalb«, fragte Ma lauernd, »macht Ihr dieses Geschäft nicht selbst?«
»Dummer Teufel«, rief Grünmantel lauter, als ihm lieb war. Erstand auf, und Großer-Tiger merkte es an dem herabrieselnden Sand.
»Ich wollte dir was zukommen lassen«, sagte Grünmantel heiser, »allein ich sehe, dass ich meine Güte an einen Unwürdigen verschwende.«
»Seid nicht gleich so aufgebracht, alter Herr. Also dreitausendfünfhundert, und hier ist der Schuldschein. Li-Yüan-Pei wird
ihn sofort einlösen.«
»Lumpenkerl«, knurrte Grünmantel, »denkst wohl, mein Hirn sei mit Dreck verkleistert? Ich gab dir die Aufstellung und das
Gewicht. Alles reines Gold.«
»Darf ich bitten?«, fragte Ma höflich.
»Schau hinein, obwohl ich meine Zeit vergeude.«
Eine Weile hörten Christian und Großer-Tiger nichts, dann war es, als ob der Schiebedeckel eines Holzkästchens knarrte, und
Ma entfuhr ein bewunderndes »Ah!«
»Na, siehst du, Freundchen! Also her mit den übrigen fünfhundert!«
»Wieso?«, fragte Ma patzig. Dann knarrte der Schiebedeckel wieder, und Christian und Großer-Tiger hörten, wie Grünmantel zornig
sagte: »Alter Halunke, so kommst du mir nicht fort.«
»Richtig«, höhnte Ma, »erst muss ich Euch noch tausend Grüße und tiefempfundene Wünsche für Wohlergehen ausrichten«.
»Von solchen Banditen, wie du einer bist?«
»Von den jungen Herren Kompass-Berg und Großer-Tiger.«
»Hundesohn!«, schrie Grünmantel, »her mit der Schatulle!«
»Ihr habt den Schuldschein, ich habe die Schatulle. Unser Geschäft ist abgeschlossen.«
Ma hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als ihn ein Faustschlag ins Gesicht traf und hintenüber warf. Er rollte den Schutthang
hinunter und die Schatulle hinterdrein.
Großer-Tiger und Christian hörten das Prasseln der Steine und das dumpfe Gepolter des sich überschlagenden Herrn Ma. In ihrer
Höhle verfinsterte sich der Ausguck; es tat einen harten Schlag, und Großer-Tiger rutschte den Lehm- und Schutthaufen hinunter
bis auf den Grund, wo der Schacht anfing.
»Au!«, jammerte er leise, »meine Schulter.«
Christian wollte ihm eilig nachrutschen, als er vor sich den Gegenstand liegen sah, der durch das Guckloch hereingefallen
war und Großer-Tiger weh getan hatte. Er war aus Holz und von der Größe einer Zigarrenkiste, in der hundert Stück Platz haben.
Schnell griff Christian danach, und er spürte, dass das Kästchen schwer war.
»Fort«, flüsterte er Großer-Tiger zu, »wir müssen ganz geschwind fort, ich habe die Schatulle.«
»Welche Schatulle?«, fragte Großer-Tiger benommen, aber dann begriff er blitzschnell, denn draußen ertönte ein gellendes Geschrei:
»Hilfe! Mörder! Hilfe!« – Das war Herr Ma.
Sand und Steine prasselten von neuem durch das Guckloch, und während Großer-Tiger eilends in den Schacht kroch, wurde es vollkommen
dunkel. Christian sah überhaupt nichts mehr. Da, wo das Guckloch gewesen war, stampfte einer und strampelte, und das musste
wohl Grünmantel sein, der Ma nachgerannt war und zugleich das Kästchen suchte. Obgleich er aber bloß bis zu den Knien in die
Höhle eingebrochen war und weiter nichts Schlimmes passierte, brüllte er genauso laut wie Ma. Das machte der Schrecken, und
vielleicht kam es auch daher, dass Christian ihn kräftig in die entblößte Wade biss, bevor er Großer-Tiger in den Schacht
folgte. Das Kästchen schob er sorgsam vor sich her.
Drüben wartete Mondschein.
Er hatte Ma und nachher Grünmantel um Hilfe rufen gehört, aber jetzt war es still wie zuvor. Die Sterne flimmerten, und Großer-Tiger
legte beschwörend den Finger auf den Mund.
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