Grote, P
ein Wagen, das Licht fiel aufs Dach und ließ das Innere im Dunkeln. Nur am Glimmen einer Zigarette erkannte Martin, dass jemand im Auto rauchte, und für einen kurzen Moment sah er auch die aus dem Fenster aufsteigende Rauchwolke. Er kümmerte sich nicht weiter darum, wandte sich nach rechts und schlenderte zum Park. Der Supermarkt gegenüber war noch geöffnet, und die Verkäuferinnen wischten den Boden. Im Park trafen sich die Jugendlichen und führten Skateboardkünste vor, die Älteren, irgendwie zu Geld gekommen, hatten sich um neue Autos versammelt, putzten daran herum oder ließen die Motoren aufheulen. Eine ältere Frau wühlte in Abfalleimernnach Verwertbarem und schämte sich dafür, als sie sich von Martin beobachtet fühlte. Immer häufiger hatte er das Gefühl, in eine Nachkriegssituation geraten zu sein, aber die Menschen trauten dem Frieden nicht, weil sie ihn vielleicht nur als Waffenstillstand zwischen den Kriegen betrachteten. Er erinnerte sich an die Zigeunerin an der Landstraße, bei der er frische Erdbeeren hatte kaufen wollen. Das Obst sollte besonders gut sein, Bio-Qualität, da den Kleinbauern das Geld für Spritzmittel fehlte – außer im Weinberg. In Jidvei hatten sie nach dem gestrigen Regen wie die Verrückten gegen Pilzbefall gespritzt. Er wollte die reifen Früchte, und die Frau schenkte ihm das letzte Kilo im Korb. Als er sein Geld zückte, hatte sie abgewunken und ihm verständlich gemacht, dass sie mit seinem Segen zufrieden wäre.
Wer bin ich, dass ich einen Menschen segne?, fragte er sich, aber er schlug ihr zum Gefallen zumindest ein Kreuz, und die Frau dankte es mit ihrem Lachen. Im Hotel angekommen hatte er die Tüte geöffnet – nicht eine Erdbeere war essbar gewesen. Sie hatte ihm den schimmeligen Abfall mitgegeben.
Auf der Caféterrasse am Park genossen einige Gäste den lauen Abend, und Martin grüßte mit den Worten
bunǎ seara
und einem freundlichen Nicken. Beides wurde mit Schweigen und feindlichen Blicken erwidert. Deshalb setzte er sich so, dass er die anderen Gäste im Rücken hatte, die hohen Bäume gegenüber schauten ihn freundlicher an. Auf dem Rückweg bog er kurz vor der Pension links ab und ging einmal um den Block herum, sodass er hinter der Pension herauskam. Der Wagen mit dem Bukarester Nummernschild stand noch immer unter der Laterne. Aber es saß niemand mehr drin. Als er im Schatten der Vorgartenbüsche unvermittelt stehen blieb, hörte er hinter sich leise Schritte. Sie stammten von zwei Männern, die schweigend an ihm vorbei zum Wagen gingen.
Die Grafen Ştirbey hatten am Ufer des Olt bereits im achtzehnten Jahrhundert mit dem Weinbau begonnen. Das Weingut lag auf einem Höhenzug in Sichtweite von Drăgăşani, die Weinberge erstreckten sich am westlichen wie am östlichen Hang, der zuerst steil abfiel und dann sanft zum Ufer des aufgestauten Flusses auslief. Löss, Lehm und Sand machten die Böden hier gleichermaßen für Weiß- und Rotwein geeignet. Martin hatte das Gefühl, dass er dem Zodiac näher kam – und natürlich auch dem Boden, den er seinen Auftraggebern empfehlen konnte.
Die Nachkommen der Grafen Ştirbey waren 1949 enteignet worden – im Jahr 2001 hatten sie ihre vierzig Hektar zurückerhalten. Einundzwanzig davon waren mit verschiedenen Rebsorten bepflanzt. Im Vergleich zu den Kellereien, die Martin bisher besucht hatte, war diese hier geradezu gemütlich. Gregor Meiniger, der deutsche Kellermeister, machte Wein, er gestaltete, statt ihn produzieren zu lassen. Die Methoden, die er dabei anwandte, hatte Martin als gut und richtig erkannt und praktizierte sie selbst.
Dazu gehörte die intensive Pflege der Weinberge, die von allen Seiten an die beinahe toskanisch anmutende Kellerei heranreichten. Martin wurde still, er fühlte etwas, das Heimweh sein konnte, als er die vertrauten Worte hörte, dass »der Wein im Weinberg entsteht«, Gaston hatte es gepredigt, »im Keller kann man ihm nur geben, was er braucht – oder ihn versauen«. Hier hatten die Trauben bekommen, was sie brauchten.
Erst einmal wurden sie von Hand in Kisten gelesen, in mehreren Etappen, je nach Reifegrad, »und das nur von erfahrenen Erntehelfern«, fügte der Kellermeister hinzu, »und wenn es tagsüber zu heiß ist, auch bei Nacht«, damit die Gärung nicht bereits im Weinberg begann. Und jeder Lesegang wurde separat vergoren. Das waren die Methoden der großen Bordelaiser Châteaux – und seine eigenen.
Diese Sorgfalt machte ihm Gregor Meiniger
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