Gruenkohl und Curry
an lebte sie bei ihren Schwiegereltern. Sie nahm sich gleichwohl die Freiheit zu tun und zu lassen, was sie wollte – und so verbrachte sie zwischendurch ein paar Tage bei ihren Eltern. Mein Vater packte ebenfalls wieder seinen Koffer: Am 9. März 1974 verließ die »Steinfels« Karatschi und er musste mit.
Da saß meine Mutter nun, verheiratet zwar, aber doch alleine, bei diesen immer noch fremden Leuten. Ihre Schwiegereltern, Schwägerinnen und Schwäger waren fürsorglich und freundlich, mischten sich aber auch erwartungsgemäß in ihr Leben ein. Was trägst du da für Klamotten? Ist es dafür nicht zu kalt? Du isst zu wenig! Warum willst du unbedingt ins Ausland? Weshalb bleibst du nicht lieber hier? Die Schwiegerfamilie unterschied sich von ihrer eigenen vor allem darin, dass sie in religiösen Dingen konservativer war. Die Besuche bei ihren eigenen Eltern sahen ihre neuen Angehörigen nicht gern. Es gehörte sich eben nicht, die neue Familie immer mal wieder allein zu lassen. Doch meiner Mutter war das egal.
Ein Gedanke allerdings heiterte sie auf: Bald schon würde sie ihren Mann wiedersehen. Mein Vater hatte ihr versprochen, dass sie ihn auf dem Schiff begleiten könne, er müsse das nur mit der Reederei klären. Die ersehnte Nachricht kam schnell: Im Mai würde das Schiff in Dubai festmachen, dorthin könne sie reisen und dann ein paar Wochen an Bord bleiben. Dubai! Das erste Mal in ihrem Leben würde sie aus Karatschi herauskommen.
Die Zeit bis Mai verging rasch, ständig besuchten sie Freundinnen, die mit ihr über die Hochzeit und über ihre Zukunft reden wollten, sie gingen ins Kino und genossen das Leben. Meine Mutter lernte viele neue Verwandte meines Vaters besser kennen und unternahm viel mit seinen Schwestern und Cousinen.
Und dann war der ersehnte Tag endlich da: Sie saß zum ersten Mal in ihrem Leben in einem Flugzeug, auf dem Weg von Karatschi nach Dubai. Ein Agent der Hansa-Reederei holte sie am Flughafen ab und brachte sie in ein Hotel – die »Steinfels« hatte noch keinen Liegeplatz zugeteilt bekommen und musste vier Tage vor der Küste von Dubai ankern. Da hockte meine Mutter nun alleine in Dubai, erstmals weit weg von zu Hause, und wartete auf die »Steinfels«. Das Schiff sollte für die kommenden Wochen ihr Zuhause sein.
Was für ein Schritt: Eine Frau, die ihr Leben lang in Karatschi bei ihren Eltern und ihrer Familie gelebt hat, reist zu ihrem Ehemann, den sie kaum kennt, begibt sich in die Welt der Seeleute, die ihr komplett fremd ist.
Sie begegnete erstmals Deutschen, hörte ihre merkwürdige Sprache, bekam deren Essen vorgesetzt. Mein Vater war der Vierte Offizier, ab dem Dritten Offizier aufwärts waren alle Deutsche. Insgesamt siebenundvierzig Männer arbeiteten auf dem Schiff. Heute fahren selbst die größten Frachtschiffe nur noch mit durchschnittlich fünfzehnköpfiger Besatzung. Siebenundvierzig Männer – und meine schöne Mutter, zweiundzwanzig Jahre alt.
Die meisten Crewmitglieder waren Pakistaner, sodass meine Mutter, wann immer sie das Bedürfnis nach Heimat, nach einem Plausch auf Urdu hatte, mit ihnen reden konnte. »Möchten Sie gerne pakistanisches Essen, Baji?«, fragte sie einer der Pakistaner, und meine Mutter war froh, vom Steward ab und zu
Biriyani
– duftenden Bratreis – auf ihre Kajüte gebracht zu bekommen und dem deutschen Essen in der Offiziersmesse zu entgehen. Wie mein Vater hatte auch sie ihre erste Begegnung mit Schweinefleisch auf einem Schiff, hielt sich aber mit dem Probieren zurück. Alkohol schmeckt ihr bis heute nicht.
»Komm, wir bringen dir Deutsch bei«, schlugen ihr irgendwann der Schiffsingenieur Uwe Teerling und ein Steward namens Wolfgang vor. Beide sprachen gut Englisch und unterhielten sich daher häufig mit ihr. »Uwe und Wolfgang – das waren für mich sehr merkwürdige Namen«, sagt meine Mutter. »Wolfgang klang so fremd und bei Uwe wusste ich nicht einmal, wie man das buchstabieren sollte.« Als sie diese Namen zum ersten Mal geschrieben sah, las sie: »Wulfgäng« und »Iuw«.
Wie zu erwarten lernte meine Mutter von den Männern vor allem Schimpfwörter und derbe Seemannssprüche. »Alles Scheiße« ist ein Ausdruck, der ihr aus dieser Zeit an Bord der »Steinfels« in Erinnerung geblieben ist. Sie sah in einer Zeitschrift das Wort »etwas« und hielt es für die deutsche Version von »it was«, also »es war«. »Quatsch«, sagten ihre bordeigenen Deutschlehrer – und widmeten sich lieber wieder den Schimpfwörtern.
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