Grusel auf Campbell Castle
maschinengeschriebenen Text vor.
Lieber Adam,
wenn Du das hier liest, werden Deine Mum und ich nicht mehr bei Dir sein. Wir hoffen, dass es Dir gut geht und dass es Dir gelingt, mit Deinem Schmerz zu leben. Denn leben musst Du mit ihm, Du musst Dich ihm stellen, nur dann wird er Dich eines Tages in Frieden lassen. Aber glaube mir, mein Sohn, dieser Tag wird kommen, und ich bin sehr zuversichtlich, dass Dir Deine Ehrlichkeit, Dein Mut und Deine Großherzigkeit dabei helfen werden. Und vielleicht hilft es Dir auch, wenn wir Dir sagen, dass wir Dich immer geliebt haben. Doch das weißt Du ja sicher.
Mein Sohn, Adam, Du weißt, dass wir nie sehr reich waren. Aber ich habe zeit meines Lebens einen kleinen Schatz gehortet, den ich nie angetastet habe, so schlecht es uns bisweilen auch ging. Denn dieser Schatz war immer für Dich bestimmt, er ist Dein Erbe, mein Vermächtnis.
Doch ich möchte Dir diesen Schatz nicht einfach schenken, nicht irgendwo hinterlegen, wo Du ihn Dir abholen kannst. Das Leben ist oft unberechenbar, Geschicke nicht vorhersehbar, aus Wegen werden Umwege, Ziele verblassen. Kurz, ich weiß nicht, ob Du dereinst der Mann sein wirst, von dem ich fest glaube, dass er in Dir steckt. Und ich spüre, dass ich nur dann ruhig aus diesem Leben werde scheiden können, wenn ich Dir diese letzte Aufgabe gestellt habe. Denn den Schatz, von dem ich sprach, wirst Du nur finden, wenn Du wirklich der Sohn bist und der Mann wirst, zu dem ich Dich immer erziehen wollte. Und die einzige Hilfe, die ich Dir geben kann, ist der Schrei des Falken, dem Du folgen mögest.
Adam, ich umarme Dich und wünsche Dir das schönste aller Leben.
Dein Vater
Samuel Campbell
Stille herrschte in dem ausgebrannten Raum. Der Text hatte die drei Jungen verwirrt. Und berührt. Justus sah auf das Blatt, ohne die Sätze nochmals zu lesen. Bob schaute zu Boden, Peter hing seinen Gedanken nach. Und Campbell, in dessen Augen es feucht schimmerte, war wieder irgendwo da draußen.
»›Der Schrei …‹« Justus’ Stimme brach, und er musste noch einmal ansetzen. »›Der Schrei des Falken‹. Das ist alles, was wir haben.«
»Sagt Ihnen das irgendetwas, Mr Campbell?«, fragte Bob.
»Und was meinte Ihr Vater damit, wenn er hofft, dass Sie zu dem Mann werden, zu dem er Sie erziehen wollte?« Peter stand auf und klopfte sich den Schmutz aus der Hose.
Campbell atmete erst ein paarmal ein und aus, bevor er antwortete. »Mein Vater hatte neben dem Schloss zwei große Leidenschaften, wenn man so will. Er war ein leidenschaftlicher Kunstliebhaber. Insbesondere die Malerei hatte es ihm angetan. Und er war ein ausgemachter Philanthrop, der immer nur an das Beste im Menschen glauben wollte und daher für all das eintrat, was seiner Meinung nach den Menschen zu einem besonderen Wesen macht.«
»Ein Philanthrop?«, fragte Peter nach.
»Ein Menschenfreund«, erläuterte Justus. Dann wandte er sich an Campbell: »Und deswegen hat Ihr Vater auch besonderen Wert darauf gelegt, dass Sie sich diese Werte und Einstellungen zu eigen machen?«
»Ja, das war ihm vor allem anderen wichtig. Er sagte immer, dass man bei sich anfangen müsse, wenn man die Welt verändern wolle, nicht bei den anderen.«
Bob nickte. »Und mit diesem Vermächtnis wollte er Sie also ein letztes Mal auf die Probe stellen.«
»Offenbar, ja.« In Campbells Stimme schwang ein zweifelnder Unterton. »Was mich ein wenig verwundert. Ein Mensch, der anderen beweisen muss, wie toll er ist, ist sich dessen nicht sicher, hat er immer wieder gesagt. Aber wer weiß schon, was in einem Menschen vorgeht, wenn er so ein Vermächtnis schreibt. Und wenn er daran denkt, dass er eines Tages nicht mehr sein wird. Vielleicht hatte er einfach Angst um mich.«
Die drei ??? sahen sich an. Dazu konnten sie nichts sagen. Sie hatten Samuel Campbell nicht gekannt und mussten seinen Sohn daher mit seinen Vermutungen allein lassen.
»Um noch einmal auf den Falken zurückzukommen«, wechselte Justus das Thema. »Sagt Ihnen ›Falke‹ oder ›Schrei‹ irgendetwas?«
Campbell schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Gibt es Turmfalken am Schloss, hat es vielleicht etwas mit Musik zu tun, heißt ein Film, ein Theaterstück, womöglich ein Gemälde so?«
»Nicht dass ich wüsste. Es sagt mir wirklich gar nichts. Aber wir können ja mal im Internet –«
»Moment! Da klingelt was bei mir!«, meldete sich Bob da zu Wort. »Es gibt einen italienischen Maler namens Adriano Falcone. 16. oder 17. Jahrhundert,
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