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Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Titel: Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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dachte jetzt, dass er beim richtigen Anwalt gelandet war und vielleicht doch noch Glück hatte. Ich fragte mich, ob ich ihm seine Illusionen rauben und klarstellen sollte, dass unsere Chancen immer noch sehr schlecht standen, auch wenn die letzte Sitzung gut gelaufen war. Ich antwortete mir, dass das überflüssig war. Und so nickte ich nur leicht und zuckte etwas mit den Schultern, was alles und nichts bedeuten konnte.
    »Gut, Abdou. Lass uns jetzt über die nächste Sitzung sprechen. Du weißt, da wirst du vernommen.«
    Er nickte aufmerksam, aber ohne etwas zu sagen. Es war an mir, zu sprechen.
    »Ich erkläre dir jetzt, wie alles funktioniert und wie du dich verhalten musst. Wenn du etwas nicht verstehst, unterbrich mich lieber gleich und frage.«
    Erneutes, nachdrückliches Kopfnicken.
    »Als Erster wird dich der Staatsanwalt vernehmen. Sieh ihn an, während er seine Fragen stellt. Aufmerksam, aber nicht herausfordernd. Antworte nicht, bevor er ausgesprochen hat. Wenn er fertig ist, wende dich an die Richter und sprich zu ihnen. Komm bloß nicht auf die Idee, mit dem Staatsanwalt zu streiten. Verstanden?«
    »Wenn der Staatsanwalt spricht, sehe ich ihn an, wenn ich spreche, sehe ich die Richter an.«
    »Genau. Dasselbe gilt natürlich, wenn du vom Anwalt des Nebenklägers oder auch von mir gefragt wirst. Du musst den Richtern zeigen, dass du dir die Fragen anhörst und sie beantwortest. Klar?«
    »Ja.«
    »Warte mit der Antwort ab, bis die Frage ausgesprochen ist. Vor allem, wenn ich sie dir stelle. Es darf nicht aussehen, als würden wir schauspielern und einen auswendig gelernten Text aufsagen. Verstehst du, was ich meine?«
    »Ja. Kein Theater zwischen uns beiden.«
    »Prima. Jetzt was anderes. Setz dich nie auf den Rand des Stuhls, setz dich immer richtig hin. So.« Ich machte es ihm vor. »Nicht so.« Neuerliche Demonstration: Einer, der bequem sitzt, zurückgelehnt, die Beine übereinander geschlagen.
    »Die Sache ist die: Wenn du auf der Stuhlkante sitzt, sieht es aus, als wolltest du jeden Moment davonlaufen, und das ist nicht gut. Du darfst aber auch keinen allzu entspannten Eindruck machen. Immerhin geht es um dein Leben, darum, ob du einen Großteil deiner Lebenszeit im Gefängnis verbringen wirst, da kann man nicht gelassen bleiben. Wenn du also entspannt wirkst, denken die Richter, du machst ihnen etwas vor – vielleicht nur unbewusst, aber sie denken es. Kapiert?«
    »Ja.«
    »Antworte nie, wenn du eine Frage nicht verstanden hast oder dir nicht sicher bist, sie richtig verstanden zu haben. Bitte, dass man sie dir wiederholt – egal, wer gefragt hat.«
    »In Ordnung.«
    »Gut. Dann wiederhol mir jetzt bitte noch einmal alles, was wir bisher gesagt haben.«
    »Ich muss den, der mich fragt, ansehen. Wenn die Frage beendet ist, drehe ich mich um, sehe das Gericht an und antworte. Wenn ich die Frage nicht verstehe, bitte ich, sie zu wiederholen. Ich muss mich so hinsetzen.«
    Er setzte sich, wie ich es ihm vorgemacht hatte. Ich lächelte und nickte. Abdou brauchte man die Dinge nicht zweimal zu sagen.
    An diesem Punkt zog ich das Protokoll seiner Vernehmung durch den Staatsanwalt und andere Papiere aus der Aktentasche. Nachdem geklärt war, wie er aufzutreten hatte, mussten wir uns noch darüber einigen, was er sagen und wie er das bisher Ausgesagte erklären sollte. Außerdem mussten wir über die zusätzlichen Beweismittel sprechen, die ich nach der Vernehmung anfordern wollte.
    Ich blieb bis drei Uhr im Gefängnis bei einer Hitze, die von Stunde zu Stunde drückender wurde. Als wir uns zum Abschied die Hand schüttelten, hatte ich das Gefühl, alles getan zu haben, was ich tun konnte.
    Ich ging rasch nach Hause, duschte und zog eine dünne Hose und ein Polohemd an. Danach machte ich mir einen Salat, aß, setzte mich in einen bequemen Sessel und rauchte zwei Zigaretten, zu denen ich Eiskaffee aus dem Shaker trank. Gegen halb fünf machte ich mich auf den Weg in die Kanzlei. Unten an der Haustür versuchte ich noch Margherita über die Sprechanlage zu erreichen, aber sie war nicht daheim. Ich war ein bisschen enttäuscht, nahm mir aber vor, es nach der Arbeit noch einmal telefonisch zu versuchen.
    Im Büro empfing ich zwei, drei Klienten, dann kam noch mein Steuerberater vorbei, schließlich erledigte ich die Korrespondenz und sagte zu Maria Teresa, das sei alles für heute, sie könne gehen. Ich widmete mich einem Schriftstück auf meinem Schreibtisch. Als ich wieder aufsah, stand sie immer noch da.

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