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Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder

Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder

Titel: Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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anderer Menschen, die nämlich gestorben waren.
    Carl schob eine seiner ständig wiederkehrenden Alptraumszenen beiseite, nämlich die Bilder der russischen Kollegen, die in ihren Unterwasserstationen gefangen waren, als die Sprengladungen explodierten; der Wasserdruck, der enorme Wasserdruck, als sich Segment um Segment ihrer Unterwasserbasen mit Wasser füllte und die Männer ertranken wie Mäuse, die man in einer feinmaschigen Mausefalle in der Regentonne vor dem Sommerhäuschen krepieren läßt. Es waren Menschen gewesen wie er selbst, Åke und Joar. Das Beste, was eine Nation an jungen Männern hervorbringen konnte.
    Carl mußte sich einen Ruck geben, denn er hatte noch einiges zu erledigen, bevor er einkaufen mußte.
    Also. Was war nun mit diesen Skinheads nicht in Ordnung?
    Natürlich waren sie politisch fehlgeleitet, etwa wie er selbst und die Genossen bei der Clarté, doch worin bestand der Fehler?
    In einem der Kartons waren Schriften zu finden, sogenannter ideologischer Hintergrund.
    Die erste Schrift, die sein Interesse erweckte, hatte den Titel »Warum verschweigt man die Wahrheit?« Eine gute Frage, die man sich immer stellen kann.
    Die Wahrheit, die hier angeblich verschwiegen wurde, war jedoch die, daß Hitlerdeutschland angeblich keine Juden ausgerottet habe. Anhand einer komplizierten Zitatensammlung mit pedantisch wiedergegebenen, aber unklaren Quellen wurde bewiesen, daß die Massenausrottung schon rein mathematisch unmöglich sei, wenn man an die Technik der damaligen Zeit denke und die Zeit, die es erforderte, einen Menschen zu verbrennen. Zumindest sei die Millionenzahl ermordeter Juden übertrieben.
    Der Originaltitel der Schrift lautete: »Warum werden wir Deutschen belogen?«
    Carl verlor sich eine Zeitlang in unangenehmen deutschen Erinnerungen. Das deutsche Volk wurde nicht belogen, was seine Geschichte anging, und belog sich insoweit auch nicht selbst. Die Lüge betraf die Gegenwart, die Lüge, die den Terrorismus in einem Kreislauf belogener Märtyrer, idiotischer Terrorakte, der vielfachen Rache des Staates, der Lügen der Presse über die vielfache Rache, neuer Märtyrer und so weiter in einem unbegreiflichen, selbstquälerischen Zyklus ermöglichte.
    Keiner der Beteiligten war jedoch an der deutschen Geschichte schuld, über die nach Carls Ansicht nicht gelogen wurde. Obwohl sie in der deutschen Geschichtsschreibung auch nicht überbetont wurde. Was möglicherweise auch verständlich war. Er ertappte sich dabei, wie er sich plötzlich mit beiden Händen um den Hals griff. Ja, es stimmte. Er hatte dem deutschen Staat geholfen, solche jungen Leute umzubringen.
    Seine angestrengt trotzige Sympathie für die Skinheads wurde jedoch schnell auf noch schwerere Proben gestellt.
    Etwas, was sich »Mitgliederzeitschrift« nannte, hieß WEISSER REBELL. Auf dem Umschlag prangte ein faschistisches Sonnenkreuz. Daneben eine Gruppe junger Männer mit sehr kurz geschnittenen Haaren, die breitbeinig und mit Knüppeln in den Händen dastanden. Darüber die Überschrift: Die Sturmabteilung unserer Zeit - in Erwartung des Sturms.
    Carl vermutete, daß es eine solche Sturmabteilung gewesen war, die Joar und Åke in die Hände gefallen war und sich jetzt größtenteils im Krankenhaus befand.
    Er blätterte in der Zeitschrift. Ein Bild zeigte zwei junge Männer und eine Frau vor einem mit der schwedischen Flagge drapierten Sarg. Es sah aus wie bei einer militärischen Beisetzung. Etwa so würde man auch ihn eines Tages begraben.
    Die Jungen hatten Militärstiefel amerikanischen Armeetyps für GIs an, soweit Carl sehen konnte. In der Bildunterschrift ging es um Micke, »Skinhead mit Leib und Seele«, der »in seinen Stiefeln in einem Sarg begraben wurde, der mit einer schwedischen Fahne drapiert war«.
    Flagge heißt es, dachte Carl.
    Dort stand auch ein Gedicht, das jemand zu Ehren Mickes verfaßt hatte:
    Micke, freue dich und mache Rast In Wotans Saal als Gast. Erhebe dich in diesem Saal Und leere zum Wohl des Nordens den Pokal.
    Carl war traurig zumute, nachdem er den Text zum zweiten Mal gelesen hatte. Mit einer solchen Idiotie zu Grabe getragen zu werden!
    Er blätterte eine Zeitlang in den Akten, um herauszufinden, wer Micke gewesen und wie er gestorben war.
    Micke war einem geisteskranken Einwanderer über den Weg gelaufen, der ständig mit einer abgesägten Schrotflinte in der Jacke herumlief, weil er so große Angst vor Skinheads hatte, die seiner Ansicht nach ständig Ausländer verprügelten.

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