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Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder

Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder

Titel: Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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vierzig Prozent der Humusschicht erodiert. In der Kalmückischen Autonomen Republik gab es schon jetzt Europas erste Wüste, im Augenblick fünfhunderttausend Hektar groß, doch in stetiger Ausdehnung begriffen.
    Der Aralsee war dabei auszutrocknen, und die Flüsse mit den romantischen Namen, an die Carl sich schwach aus dem Gymnasium erinnerte, Syr-Darja und Amu-Darja in Zentralasien, gab es nicht mehr.
    Das Trinkwasser, das in Zentralasien noch vorhanden war, enthielt so hohe Bestandteile krebserregender Stoffe, daß Kehlkopfkrebs, Leberschäden sowie Mißbildungen bei neugeborenen Kindern dazu führten, die mittlere Lebenserwartung unter das Niveau der ärmsten Länder der Dritten Welt zu senken. In manchen Gegenden betrug die durchschnittliche Lebenserwartung bei Männern nur noch achtunddreißig Jahre. Größere Völkerwanderungen oder Tod. Millionen Menschen mußten umgesiedelt werden oder sterben. So sah es aus.
    Man hätte also meinen können, der Feind läge in Todeszuckungen. Doch inmitten dieser vernichtenden Armut gab es immer noch die Kapazität zur Vernichtung der Welt. Dieses Paradoxon sollte beurteilt, gewogen und gemessen werden.
    Infolge des Nahrungsmittelmangels waren vermutlich weiterer Aufruhr und Tumulte zu erwarten. Die Sowjetarmee würde bald vor der entsetzlichen Möglichkeit stehen, eine Republikhauptstadt nach der anderen einzunehmen.
    Die Alternative war der Zerfall des Staates.
    Die westliche Welt würde mit einiger Leichtigkeit weitere militärische Interventionen in Städten wie Tiflis und Baku akzeptieren. Wenn die Sowjetarmee aber nach Riga, Tallinn und Vilnius geschickt wurde?
    Amerikanischen Beurteilungen zufolge, zumindest nach den Beurteilungen der CIA, was als amerikanische Sicht zu gelten hatte, war eine solche Entwicklung »unannehmbar«.
    Damit erhob sich die Frage, was damit gemeint sein konnte. Dort lag also die Kriegsgefahr. So sah er aus, der Todeskampf des Riesen, der Zerfall des Imperiums. Es gab Kriegsrisiken, die so neu und unschwer vorstellbar waren, daß es Mühe machte, sie zu Papier zu bringen. Der europäische Krieg würde nicht an der Grenze zwischen Ost und Westdeutschland beginnen, die übrigens schon bald gar keine Grenze mehr sein würde.
    Der europäische Krieg würde unter Umständen in Tallinn anfangen können - Hilfsaktionen, erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg ausländische Truppen auf sowjetischem Territorium.
    So. Bis auf weiteres etwa so.
    Carl arbeitete schnell, nachdem er dem Material seine Grundlinie entnommen hatte. Als die Zusammenstellung zur Abschrift fertig war, war er einigermaßen zufrieden. Das Kremlastrologische Machtkampfsignal war auf Anhänge reduziert, und er hatte die Betonung auf die strategische Perspektive gelegt.
    Fünf Minuten vor drei war er mit der Arbeit des Tages fertig, das heißt mit der Papierarbeit. Und da das, was ihm jetzt bevorstand, irgendwie noch schwieriger erschien, ging er den Korridor hinunter und wusch sich das Gesicht. Er ließ die Hähne laufen, bis das Wasser nicht mehr kälter wurde.
    Was er Åke Stålhandske sagen mußte, war nicht leicht. Sie waren keine engen Freunde, standen einander aber sehr nahe, näher als die meisten engen Freunde.
    Eins stand fest: Er wußte zuwenig über Åke Stålhandske. Einerseits wußte er alles über dessen taktische Fähigkeiten, die ja gelinde gesagt beträchtlich waren, sowie seine Fähigkeit, sich in der EDV zusammen mit Joar Lundwall nützlich zu machen. Diese Fähigkeit war weniger entwickelt. Andererseits wußte Carl zuwenig über Åke Stålhandske als Menschen im Frieden, außerhalb des Kampfes, nämlich bei Tageslicht und in gewöhnlicher Kleidung.
    Ihre Beziehung gründete sich auf Dunkelheit. Sie würden gemeinsam im Dunkeln operieren. Die Dunkelheit war ihr Freund und der Feind des Feindes. In der Dunkelheit würden sie immer überlegen sein.
    Doch das war kaum die Hauptrichtung der nachrichtendienstlichen Arbeit. In der Hauptsache ging es um Papiere, Analysen und Berichte in drei Ausfertigungen, um Volkswirtschaft und Umweltzerstörung.
    Ihre gemeinsamen Erfahrungen waren ganz außergewöhnlich und würden mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit nicht wiederholt werden können. So war es.
    Und im Augenblick war ein nichts Böses ahnender - oder ahnte er doch etwas? - Åke Stålhandske zu ihm unterwegs. Es war fünf Sekunden vor drei.
    »Herein«, sagte Carl, als es klopfte. Es war ein kurzes Morsesignal, das Wort ORCA, Stålhandskes Codename. Carl machte ein

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