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Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder

Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder

Titel: Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Tonbandgerät, und Ewert Gustafsson beugte sich sofort vor und schaltete es aus.
    »Dann laß uns etwas informeller sprechen, wenn dir das lieber ist«, sagte er und setzte sich bequem zurecht, als hätte ihn die veränderte Körperhaltung zu etwas anderem gemacht als einem lauschenden Kriminalbeamten.
    »Ja«, sagte sie lächelnd, »es wäre vielleicht doch etwas viel verlangt, daß die Familienmitglieder einander in die Haare geraten, nur weil ihr uns dazu bringt, bestimmte Dinge über die anderen Familienangehörigen zu sagen.«
    »Ja, das kann man so sehen. Dann gehen wir es etwas informeller an. Glaubst du also, daß deine Mutter etwas über den Hintergrund deines Vaters wissen könnte, das sie mit Rücksicht auf Öffentlichkeit, Skandal und derlei zurückhält?«
    »Ja, ohne Zweifel. Mein Vater war während des Krieges nämlich Nazi. Vielleicht ist das mehr als alles andere die Ursache für das schlechte Verhältnis zwischen uns.«
    »Dann wäre also die Schlußfolgerung erlaubt, daß derjenige, der dieses Hakenkreuz auf seine Brust ritzte, jemand ist, der ihn gerade wegen dieses Symbols verabscheut?«
    »Eher als jemand, der sozusagen seine Signatur hinterlassen wollte? Ja, ohne Zweifel.«
    »Aber man ermordet doch keinen alten Mann, weil man seine politische Einstellung vor fünfzig Jahren verabscheut?«
    »Nein, das ist es ja gerade. Jemand muß ihn für etwas gehaßt haben, was er getan hat, und nicht für etwas, was er vor fünfzig Jahren gemeint oder gedacht hat.«
    »Genau. Und damit stellt sich natürlich die Frage, wer dieser Jemand ist.«
    Sie zuckte resigniert die Achseln.
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, sagte sie. »Über die Vergangenheit wurde zu Hause ja nie gesprochen. Wie gesagt, vielleicht weiß Mama etwas, aber auch das weiß ich nicht.«
    »Nun, dann machen wir weiter«, sagte Ewert Gustafsson. Er beugte sich vor, drückte auf die Aufnahmetaste und stellte dann eine Reihe formeller Fragen, welche Personen zu dem kritischen Zeitpunkt am Sonnabend zusammen gewesen seien, genauer bei einem Fest im Stadtteil Majorna, mehr als vierhundert Kilometer vom Tatort entfernt.
    Natürlich würden diese Angaben sorgfältig kontrolliert werden. Doch das war eher eine Formsache. Ewert Gustafsson war davon überzeugt, das alles stimmen würde. Seine berufliche Intuition sagte ihm, daß Louise Klintén endgültig von der Liste der eventuell Verdächtigen gestrichen werden konnte. Unabhängig davon, was die Kollegen von Säk über Kurden und Kommunisten dachten.
    Carl fühlte sich fast angsterfüllt unzulänglich. Was früher einmal Vierteljahresberichte gewesen waren, in denen die Nachrichtenlage zusammengefaßt wurde, war im Gleichklang mit der galoppierenden Entwicklung in Osteuropa zu Monatsberichten geworden. Und es kam Carl jedesmal vor, als würde man dem Nachrichtendienst im voraus geschriebene Weltgeschichte abverlangen.
    Beim Chef des OP 5 strömten jede Woche und jeden Tag Berichte der verschiedensten Organe des Nachrichtendienstes zusammen. Sie enthielten Angaben, die in technischer Hinsicht völlig verschiedene Sprachen sprachen, aber Carl war jetzt dafür verantwortlich, sie in eine begreifliche Sprache zu übersetzen und zusammenzufassen. Jeder General mit einem normalen Fachwissen sollte sie lesen können, zur Not auch der eine oder andere Politiker. In den Stapeln auf Carls Schreibtisch mischten sich so unterschiedliche Dinge wie EDV-Listen der Funkanstalt der Streitkräfte, die den Funkverkehr der jüngsten Zeit auf eine Weise analysierten, wie sie nur von Computerexperten gelesen werden konnten, und ökonomisch-politische Berichte des Osteuropäischen Wirtschaftsinstituts, die Carl manchmal so vorkamen, als wären sie mit Ausnahme von Dozenten der Nationalökonomie für jeden unlesbar. Hinzu kamen verschiedene Berichte von den Berichterstattern seiner eigenen Abteilung im Osten. Dabei handelte es sich entweder um sogenannte Reisende oder auch um ganz einfache Spione. Wie die Berichterstatter sämtlicher Nachrichtendienste aller Zeiten und Systeme neigten sie sichtlich dazu, ihre Entdeckungen ins rechte Licht zu rücken. Sie bauschten die Bedeutung insgeheim zurückgezogener Militäreinrichtungen auf oder maßen aufgeschnappten Gerüchten über kommende Veränderungen oder Intrigen zwischen der Sowjetmacht und dem Baltikum eine Bedeutung zu, die ihnen nicht zukam.
    Irgendwo in all dem sollte eine objektive Wahrheit stecken.
    Das war ein einigermaßen anständiger intellektueller

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