Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder
das Doppelzimmer. Es war ein Eckzimmer mit Aussicht auf den Strömmen. Jetzt mußte er sich schnell entscheiden, wo er sich hinsetzen wollte, auf das Sofa oder auf einen der beiden Sessel. Er entschied sich für einen der Sessel, und sie setzte sich in den anderen.
»Ja«, sagte er und lächelte unsicher. »Wer soll anfangen, du oder ich?«
»Du meinst, was seit dem letzten Mal passiert ist, sozusagen?«
»Sozusagen. Wie ist es dir seitdem ergangen?«
»Du weißt nichts davon?«
»Nein, kein bißchen. Du bist damals im Pier Café in San Diego aus meinem Leben spaziert. Nicht aus dem Sinn, aber aus meinem Leben. Also. Was ist seitdem passiert?«
»Sicher, daß du es nicht weißt?«
»Ja, sicher. Wir kennen uns zu gut, um lügen zu können, und das weißt du.«
»Tja, dann will ich es kurz machen. Du wurdest ja von unseren begabten amerikanischen Sicherheitsdiensten zunächst zu einem russischen Spion ernannt. Erinnerst du dich?«
»Nun ja, begabt oder nicht, das war ein russischer Einfall. Die arbeiten manchmal so, um uns auf der westlichen Seite die Hölle heiß zu machen. Oft gelingt es ihnen, und damals war es auch erfolgreich.«
»Ja, zumindest ist es ihnen gelungen, mir die Hölle heiß zu machen.«
»Und?«
Carl merkte, daß er sie jetzt schon anlog. Er verabscheute diese kurz angebundene, lässige Art, nach etwas zu fragen, von dem er mit Sicherheit wußte, daß die Antwort weh tun würde. Sie sammelte sich ein wenig, bevor sie Anlauf nahm und zu erzählen begann.
»Man schleppte mich in irgendeinen Keller und verhörte mich drei Tage und Nächte lang. Ich dachte, so etwas gäbe es nur in Propagandafilmen über das böse Albanien oder ähnliche Staaten. Wenn du ein Spion warst, war ich ja bestenfalls eine Agentenhure und schlimmstenfalls selber Agentin. Ja, du kannst es dir sicher denken.«
Sie biß sich auf die Lippe und sah ihn forschend an. Er mußte sich darauf konzentrieren, nicht zu zeigen, was er jetzt empfand.
»Ja«, sagte er, »ich weiß in etwa, wie solche Verhöre ablaufen. Aber du warst ja unschuldig. Das haben sie doch hoffentlich irgendwann erkannt?«
»Irgendwann ja. Aber zuvor hatten diese verfluchten Paviane nicht nur meinen Freundeskreis verhört, jeden einzelnen, nicht nur meinen Vater, sondern auch meinen Mann. Du kannst dir vorstellen, wie er sich danach aufführte.«
»Uhuh. Das kann ich mir vorstellen. Er schien mir kein sehr munterer Typ zu sein. Heißt er nicht Burt? Vielleicht war ich aber der einzige, der ihn damals nicht von seiner besten Seite zu sehen bekam. Er wurde also stinkwütend?«
»Stinkwütend? Das ist nur der erste Buchstabe. Den Rest kannst du dir sicher vorstellen?«
»Du bist geschieden?«
»Eine Schnellscheidung in Reno natürlich. Heirat in Las Vegas und Scheidung in Reno. Aber er hat auch Stan genommen.«
»Wie alt ist Stan jetzt?«
»Drei Jahre. Ich darf ihn nicht sehen.«
Carl fühlte sich vernichtet von unbestimmten Schuldgefühlen. Wie das Ganze auch zusammenhängen mochte, er war irgendwie schuld daran.
»Aber du bist doch Anwältin? Du müßtest in einem Scheidungsprozeß doch dagegenhalten können. Die kalifornischen Gesetze sind ja nicht dafür bekannt, die weibliche Partei zu benachteiligen«, versuchte er mit absolut durchsichtiger Absicht, zu bagatellisieren oder zu begütigen. Sie erkannte es natürlich und schüttelte mahnend den Kopf.
»Das sieht dir gar nicht ähnlich, Carl. Du stellst dich doch auch sonst nicht dumm. Was glaubst du, welche Chancen eine verdächtige Kommunistenhure in einem Scheidungsprozeß hat? Wie du sehr wohl weißt, fehlt Burt nicht das Geld, sich gute Scheidungsanwälte zu leisten. Ich hatte keine größere Chance als ein Seven-up im Fegefeuer, wie du damals immer sagtest.«
»Also was ist passiert?«
»Mit Ausnahme von Papa distanzierten sich alle von mir. Alte Freunde machten plötzlich einen Umweg oder bekamen etwas ins Auge, wenn ich sie auf der Straße traf. Ich verlor das Sorgerecht und bekam eine einmalige Unterhaltszahlung von hunderttausend Dollar.«
»Was hast du dann gemacht?«
»Ich zog nach San Diego, mietete mir ein Zimmer in der Martin Luther Street und kümmerte mich um Papa, der in der Nähe wohnte. Dann versuchte ich, in irgendeinem Anwaltsbüro einen Job zu bekommen, doch das ging natürlich nicht. Dann versuchte ich es beim Komitee zur Unterstützung mexikanischer Einwanderer, aber das ging natürlich auch schief.«
»Warum denn? Du hast doch auch vorher für sie
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