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Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder

Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder

Titel: Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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so etwas wie eine Ausflucht war. Der harte Tonfall zwischen ihnen war ihm sehr recht. Er hatte Angst, die Vergangenheit könnte sonst mit der gleichen unwiderstehlichen Kraft zurückkehren wie eine Flut.
    »Das habe ich vorhergesehen«, sagte sie und zeigte plötzlich ihr altes Lächeln. Sie nickte sacht mit dem Kopf. »Ich habe es tatsächlich vorhergesehen. Also wenn du entschuldigst, kommt das Essen hier aufs Zimmer. Aber heute darf ich dich ausnahmsweise einmal einladen.«
    Als es kurze Zeit später an der Tür klopfte - es war ein diskretes leichtes Klopfen wie beim Roomservice üblich -, fühlte Carl so etwas wie Panik in sich aufsteigen. Es würde zu gemütlich werden, ganz verdammt gemütlich und vertraut und sentimental dazu. Außerdem war sie viel zu schön und stellte für ihn allzu viele Erinnerungen dar. Er verfluchte das, was jetzt geschah, während er gleichzeitig jeden Gedanken hinwegfegte, der ihn einfach aufstehen und gehen hieß.
    »Dies ist nicht wirklich. Ich bin nicht hier, du bist nicht hier. Das geschieht nicht. Es kann einfach nicht geschehen«, flüsterte er, daß sie es ohnehin nicht hörte. Sie war schon an der Tür, um den Etagenkellner mit dem Wagen einzulassen.
    Carl warf einen besorgten Seitenblick auf den kleinen Wagen mit dem weißen Leinentuch und den silbern glänzenden Hauben, die das Essen bedeckten. Da war ein Champagnerkühler mit einer Flasche Champagner und einer Flasche kalifornischem Chardonnay. Natürlich war es kalifornischer.
    Sie hatte den wahrscheinlich teuersten Champagner der Weinkarte gewählt, denn es war ein Perrier Fin de Siècle mit aufgeprägten Reliefblüten im Jugendstil, die sich in Ranken um die ganze Flasche schlängelten; der Etagenkellner entkorkte die Flasche mit entsprechender Ehrfurcht. Typisch amerikanisch, dachte er. Neunzig Prozent der Prestigemarken französischen Champagners werden in den USA getrunken. Wahrscheinlich am meisten in Las Vegas und an ähnlichen Orten, und vermutlich meist von Personen, die ebensogut russischen champanskoje oder Pommac mit etwas Schnaps darin hätten trinken können.
    »Ich lasse es so stehen, damit sich die Wärme hält«, sagte der Etagenkellner und zeigte auf die glänzenden Hauben, die die Speisen bedeckten. Dann schnappte er sich diskret den Zehn-Dollar-Schein, den ihm Tessie weniger diskret hinhielt und zog sich mit einer Verbeugung zurück.
    Im Zimmer begann es dunkel zu werden. Draußen über dem Strömmen lag Frühlingslicht. Tessie hob Carl ihr Glas entgegen, und er fühlte eine ebenso starke wie überraschende Woge von Trauer in sich aufsteigen.
    »Auf abwesende Freunde«, sagte sie und führte das Glas zum Mund. Er nickte kurz und suchte gleichzeitig fast verzweifelt nach einem ungefährlichen Gesprächsthema.
    »Wie geht es Herb, deinem Vater?« fragte er, als er das Glas abgestellt hatte. »Ihn kann ich mir nur als abwesenden Freund vorstellen.«
    »Er ist vor zwei Monaten gestorben. Ich habe ihn beerdigt und das Haus verkauft«, erwiderte sie schnell und holte keuchend Luft, als müßte sie sich anstrengen, um nicht von Trauer überwältigt zu werden.
    »Das tut mir verdammt leid. Sowohl für dich wie für Herb.
    Wir beide haben uns ja damals sehr gut verstanden.«
    »Ja, er hat immer große Stücke auf dich gehalten. Er war wohl der einzige, der sich von diesen Gorillas nicht in seiner Überzeugung beirren ließ. ›Die können mich an meinem irischen Arsch lecken‹, sagte er immer, ›wenn Carl ein Spion der Russen ist, bin ich Mickymaus.‹ Tja, er hatte ja recht, doch damit stand er allein.«
    »Und du selbst? Was hast du geglaubt?«
    Sie zögerte mit der Antwort und rettete sich eine Zeitlang, indem sie langsam an dem Champagner nippte und mit einer Handbewegung auf die Flasche zeigte, als wollte sie einschenken, denn sie wußte, daß Carl ihr zuvorkommen würde.
    »Lustig«, sagte Carl, um ihr noch etwas Zeit zu schenken, »aber ich habe einen amerikanischen Freund, einen Militär, den du nicht kennst. Er hat auch so etwas über Mickymaus gesagt. Warum gerade Mickymaus? Warum nicht Goofy oder Donald Duck? Na ja. Also, was hast du selbst geglaubt?«
    »Ich habe dich natürlich nicht für einen Spion gehalten, zumindest nicht für einen russischen. Nach unserer Begegnung im Pier Café war ich aber natürlich etwas unsicher geworden. Während all dieser Jahre hattest du etwas vor mir geheimgehalten, sogar um den Preis unseres… ja, unseres Verhältnisses. Du hast es trotzdem vor mir

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