Gwydion 04 - Merlins Vermächtnis
plötzlich ein Kurzschwert an ihm vorbeiflog. Der Knauf traf den Mann an der Schläfe, woraufhin dieser mit einem Gurgeln rücklings vom Pferd fiel und bewusstlos liegen blieb. Alle wirbelten herum und starrten Katlyn an, die verlegen mit den Schultern zuckte.
Lancelot zögerte nicht lange, sondern schnappte sich die Zügel des Pferdes, sprang in den Sattel und preschte mit gezücktem Schwert den Hügel hinab.
„Worauf wartet ihr noch?“, rief Gwyn. „Na los! Hinterher!“
Ohne auf die Antwort seiner Freunde zu warten, rannte er los. Im Laufen steckte er das Schwert zurück in die Scheide und hob einige runde Steine auf. Dann wickelte er einen Lederriemen von seiner Hüfte ab und stellte sich auf einen Felsen, um die Schleuder kreisen zu lassen.
Die drei verbliebenen Soldaten zuckten zusammen, als sie die rasende Wut in den Augen des vermeintlich altersschwachen Angreifers sahen. Lancelot wollte zuschlagen, als ein Stein an seinem Kopf vorbeisurrte und einen der drei Krieger an der Stirn traf. Die Wucht des Aufpralls war so groß, dass sie den Mann förmlich aus dem Sattel riss. Verwirrt zügelte Lancelot das Pferd und hielt Ausschau nach dem nächsten Ziel.
Mittlerweile war das Überraschungsmoment verflogen. Mordreds Männer rissen ihre kleinen Rundschilde hoch und wehrten damit die nächsten Geschosse ab. Nicht nur das: Es gelang ihnen auch, Lancelot so in die Zange zu nehmen, dass er sein Pferd nicht mehr bewegen konnte. Für die Bauern wäre es jetzt ein Leichtes gewesen, in das Geschehen einzugreifen und ihrem Retter beizustehen. Doch die lethargischen Männer verfolgten die Auseinandersetzung mit offenen Mündern, als würde sie dies alles nicht das Geringste angehen.
Gwyn fluchte. Lange würde sich Lancelot nicht halten können, dazu waren die Angreifer zu geschickt. Aber da sie sich mit ihren Schilden vor den Steinen schützen mussten, hatten sie die Zügel losgelassen und saßen auch sonst nicht mehr so sicher im Sattel. Gwyn ließ den nächsten Stein davonfliegen. Diesmal hatte er jedoch nicht auf den Reiter gezielt, sondern auf das Pferd. Er traf es an der Flanke. Wiehernd bäumte es sich auf und warf seinen Herrn ab, der hart aufkam und reglos liegen blieb.
Als der vierte Krieger bemerkte, dass er inzwischen der Letzte war, den man noch nicht außer Gefecht gesetzt hatte, riss er sein Pferd an den Zügeln herum. Ohne einen Blick über die Schulter zu werfen, ritt er los. Dann wurde auch er am Hinterkopf von einem Stein getroffen und stürzte zu Boden.
Gwyn atmete tief durch und band sich den Lederriemen wieder um die Hüfte. Lancelot sprang mit wütend funkelndem Blick aus dem Sattel und lief auf Gwyn zu, der instinktiv stehen blieb und sogar einen Schritt zurückwich, als sich Lancelot wutschnaubend vor ihm aufbaute. Gwyn wusste, dass ihn nur seine Königswürde vor einem Schlag ins Gesicht bewahrte.
„Tu das nie wieder“, zischte Lancelot ihn an.
Gwyn, der zunächst geglaubt hatte, er würde für sein Kunststück mit der Schleuder ein Wort des Lobes ernten, zuckte erschrocken zusammen.
Lancelot gelang es nur mit Mühe, seine rasende Wut zu beherrschen. „Du hättest uns alle mit diesem Irrsinn umbringen können!“
„Ich musste diese Menschen retten!“ stotterte Gwyn.
Lancelot wirbelte herum und zeigte auf den Karren. „Sieh doch: Sehen so Menschen aus, die von dir gerettet werden wollen?“
Noch immer starrten die Männer und Frauen Gwyn mit offenen Mündern und schreckgeweiteten Augen an.
„Sie haben Angst!“ sagte Gwyn. „Seht Ihr das nicht?“
„Nein, sie sind so dumm wie die Kühe, die auf ihren Weiden stehen.“
„Weil man sie immer in Dummheit gehalten hat!“, fuhr Gwyn ihn an. „Niemand hat ihnen beigebracht, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen, geschweige denn es zu verteidigen. Ohne die Bauern würde es uns nicht geben. Sie bestellen die Felder, sie mahlen das Korn und backen das Brot.“ Er trat nah an Lancelot heran und schaute ihm kalt in die Augen. „Sagt, bin ich auch so dumm wie die Schweine, die ich einst gehütet habe?“
Lancelot atmete schwer. In seinem Kopf arbeitete es.
„Wir leben in einer Welt, in der jeder seinen ihm zugewiesenen Platz einzunehmen hat, ist es nicht so?“, schrie Gwyn. „Die Ordnung der Dinge, ich weiß. Doch wer hat diese Ordnung ins Leben gerufen? Das waren Leute wie Ihr und Artur, die auf dem Rücken dieser Menschen ein ritterliches Dasein führen. Und während Ihr von Königstreue und Ritterstolz faselt, kann der
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