Gwydion 04 - Merlins Vermächtnis
gegeben hat.“ Gwyn schluckte. „Und Merlin, der mich an diesen Ort geführt hat.“ Er senkte seine Stimme. „Ich habe ihn gesehen. Im Wald, auf halbem Weg zu diesem Dorf.“
Lancelot schaute Gwyn wie vom Donner gerührt an. „Bist du dir sicher?“, fragte er.
„Nun ja, fast.“
„Was heißt hier fast?“ fuhr ihn Lancelot aufgebracht an. „Ich bin mir nicht sicher. Ich habe verseuchtes Wasser getrunken und von da an begannen die Dinge seltsam zu werden. Ich bin einem Mann gefolgt, der Merlin gewesen sein könnte.“
„Und Wyclif?“, fragte Katlyn.
„War so wirklich wie du! Er berichtete mir, dass er seit dem Diebstahl vom Unglück verfolgt sei und flehte mich an, ich möge das Medaillon wieder an mich nehmen. Danach fing ich an, seltsame Visionen zu haben.“
„Woran kannst du dich erinnern?“
Gwyn runzelte die Stirn. „An einen gewaltigen Apfelbaum, der auf einem Hügel stand.“
Lancelot riss die Augen auf. „Avalon! Aber… das ist unmöglich! Kein Sterblicher hat dieses Totenreich jemals betreten und lebendig wieder verlassen!“
„Ja, und Gwyn ist kein normaler Sterblicher“, bemerkte Muriel.
„Avalon! Dass ich nicht lache! Das keltische Reich der Toten ist nicht mehr als eine alte Legende“, sagte Roderick, doch Lancelot hörte nicht auf ihn.
„Nun, wenn es Avalon war, dann existiert es nicht mehr. Nachdem ich das Medaillon an mich brachte, begann sich die Welt um mich herum aufzulösen, bis nur noch dieser Baum da war, der inmitten der Sterne zu schweben schien.“
Lancelots wurde blass.
„Es war nur ein Traum“, versuchte Gwyn ihn zu beruhigen. „Wenn auch ein ziemlich erschreckender.“
„Ich denke nicht, dass es ein Traum war. Ich bin mir sicher, es war eine Vision. Und zwar eine, die nichts Gutes verheißt.“ Lancelot schaute Gwyn fest in die Augen. „Auch ich glaube, dass dich das Wasser vergiftet hat und dass sich daraufhin Wahn und Wirklichkeit miteinander vermischt haben.“
„Aber wie kommt es dann, dass Gwyn nur einen Tag für den Hin- und Rückweg benötigte?“ fragte Roderick sichtlich erregt.
„Diese Frage kann ich auch nicht beantworten. Vielleicht gibt es eine natürliche Erklärung dafür. Vielleicht auch nicht“, antwortete Lancelot. „Ich spüre nur, dass unsere Rückkehr nach Dinas Emrys keinen Aufschub duldet. Irgendetwas Unheilvolles nimmt seinen Anfang.“
Gwyn spürte, wie sich Brutus an sein Bein lehnte, um von ihm gestreichelt zu werden. Der Hund würde wissen, was sich tatsächlich in diesem Wald zugetragen hatte. Doch leider konnte er niemandem davon berichten. Vielleicht war die Wahrheit ja noch verrückter, als sie es sich alle vorstellen konnten.
Sie standen am nächsten Morgen in aller Frühe auf, um beim ersten Licht des Tages die Kirche zu verlassen. Gwyn war überrascht, als er sah, wie Roderick ebenfalls sein Bündel schnürte.
„Ihr wollt uns begleiten?“, fragte er überrascht.
„Wenn Ihr erlaubt“, sagte Roderick zögernd.
„Ich bitte Euch! Ich hätte Euch doch längst selbst nach Dinas Emrys eingeladen, wagte aber nicht, Euch zu fragen. Immerhin habt Ihr hier all die Jahre wacker die Stellung gehalten.“
„Ich bin dieser Stadt überdrüssig“, sagte Roderick. „Die Hunde interessieren meine Predigten nicht, und die Menschen werden in absehbarer Zeit nicht wieder zurückkehren. Sagt selbst: Wem soll ich also Gottes Wort verkünden? Etwa den Vögeln? Außerdem könnte ich nun, da Ihr die letzten Tage und Wochen in meiner Kirche verbracht habt, die Einsamkeit nicht mehr ertragen. Außerdem würde ich auf meine alten Tage zu gerne einmal die Gralsburg sehen.“
„Sie wird Euch gefallen.“
„Dessen bin ich mir sicher“, sagte Roderick und verneigte sich leicht. Dann machte er sich daran, seine letzten Habseligkeiten einzupacken.
„Es wird eng in unserer kleinen Nussschale“, sagte Rowan mit Blick auf den alten Priester.
„Wir werden es überleben“, antwortete Lancelot.
Für Roderick war es ein schwerer Abschied. Dreißig Jahre lang hatte er sein Leben dieser Kirche gewidmet, die dem heiligen Paulus geweiht war. Dreißig Jahre, in denen er den Niedergang Londiniums zu einer Geisterstadt miterlebt hatte, die nun nur noch von tollen Hunden bewohnt wurde. In einer schlichten Zeremonie, die er mehr für sich als für Gwyn und die anderen abhielt, nahm er Abschied. Dann blies er die letzte Kerze aus und verriegelte die Tür. Den Schlüssel hatte er an einer Kette befestigt, die er sich jetzt um den Hals
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