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Hackenholt 06 - Reichskleinodien

Hackenholt 06 - Reichskleinodien

Titel: Hackenholt 06 - Reichskleinodien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Mohr
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dieser Flüchtung unter anderem die Sporen, ein Schultertuch und die Armillae unwiederbringlich verloren gingen.«
    »Erzähl mehr!«
    Wie schon am Vorabend glaubte Hackenholt in Winter plötzlich den wissbegierigen kleinen Jungen zu sehen, der an den Lippen seiner Mutter klebte, während diese ihm eine Geschichte von damals erzählte.
    »Die Nürnberger hatten einfach Pech, dass der letzte römisch-deutsche Kaiser Franz II . aus dem Haus Habsburg-Lothringen stammte und Österreicher war. Er hatte natürlich kein Interesse, uns die Reichskleinodien zurückzugeben, sondern wollte sie lieber bei sich in Wien behalten. Daher ließ er uns 1806 ausrichten, er sehe das von Kaiser Sigismund übertragene Privileg zur Aufbewahrung als erloschen an, weil wir keine Reichsstadt mehr waren. Na, und ihr Münchner habt uns auch nicht sonderlich geholfen, als wir 1821 die königlich-bayerische Regierung baten, Schritte zur Rückführung der Kleinodien einzuleiten, nicht wahr?«
    »Weißt du, was ich absolut faszinierend finde?«, versuchte Winter dem Gespräch rasch eine andere Richtung zu geben, bevor er wieder persönlich für die Sünden der Bayern geradestehen musste. »Darüber bin ich heute erst gestolpert: Im Mittelalter hat man doch geglaubt, die Erde sei eine Scheibe. Andererseits symbolisiert der Reichsapfel aber die Welt. Also wurde sie damals schon als Kugel und nicht als Scheibe dargestellt.«
    »Richtig«, grinste Sophie. »Du bist allerdings Opfer eines weit verbreiteten Volksmythos’ geworden. Die Menschen und vor allem Gelehrten im Mittelalter waren gar nicht so naiv, wie man sie im Nachhinein hinzustellen versuchte.«
    »Wirklich?«
    »Bereits Aristoteles war davon überzeugt, dass die Erde kugelförmig sein muss«, erklärte Sophie und holte Winter zuliebe weiter aus. »Er hat das aus seiner Beobachtung abgeleitet, dass bei sich nähernden Schiffen am Horizont immer zuerst der Mast sichtbar war. Außerdem hat er bei einer Mondfinsternis einen kreisförmigen Schatten auf dem Mond festgestellt. Weil sich in dem Moment die Erde aber zwischen Sonne und Mond befand, hätte die Erde keinen runden Schatten werfen können, wenn sie eine Scheibe wäre.«
    »Warum heißt es dann, dass man im Mittelalter glaubte, die Erde sei eine Scheibe?«, fragte Hackenholt.
    »Das ist eine Behauptung, die im 19. Jahrhundert in die Welt gesetzt wurde, um das stark kirchlich beeinflusste Mittelalter als primitiv und abergläubisch abzuurteilen und die eigene Zeit als wesentlich gebildeter und fortschrittlicher darzustellen, als sie eigentlich war. Im Grunde genommen war sogar die Kirche damals bereits vom kugelförmigen Modell der Erde überzeugt, aber sie lehnte viele wissenschaftliche Theorien und Erkenntnisse einfach ab.«
    Plötzlich piepte ein Küchenwecker.
    Sophie erhob sich. »Das waren die Klöße. In zwei Minuten gibt es Essen.«

Sonntag
    Als Hackenholt am Sonntagmorgen sein Büro betrat, fand er einen Zettel auf seinem Schreibtisch. Das Südklinikum bat um einen Rückruf in Sachen Thorsten Graef. Mit einem schlechten Gefühl tippte er rasch die Nummer ein. Eine Krankenschwester meldete sich und verband ihn ins Arztzimmer. Dort fragte der Diensthabende nach seiner Durchwahl und rief ihn umgehend zurück.
    »Eine reine Vorsichtsmaßnahme«, erläuterte der Mediziner. »Seit der Raub des Reichsapfels die Zeitungen beherrscht, lungern die Reporter wie Schmeißfliegen auf unseren Gängen herum. Ich würde es denen absolut zutrauen, hier anzurufen und sich als Kripobeamte auszugeben.« Nach dieser Vorrede hielt er kurz inne und räusperte sich. Als er weitersprach, war seine Stimme ein wenig sanfter geworden. »Ich nehme an, Sie können sich denken, worum es geht?«
    »Thorsten Graef ist hirntot?«
    »Wir haben gestern Abend um zweiundzwanzig Uhr im Beisein seiner Frau und seiner Eltern die Maschinen abgestellt.«
    »Danke für die Information.«
    »Geben Sie sie an die Presse weiter, oder sollen wir das übernehmen? Früher oder später werden die Journalisten sowieso dahinterkommen. Vermutlich ist es besser, wir gehen von uns aus an die Öffentlichkeit, bevor jemand auf die Idee kommt, wir wollten etwas vertuschen.«
    »Ich werde unsere Pressestelle einschalten.«
    »Wunderbar, dann einen schönen Sonntag.«
    Nach dem Telefonat trat Hackenholt ans Fenster und sah auf den Jakobsplatz hinab, der in der morgendlichen Sommersonne verlassen dalag. Nun waren beide Fahrer tot – und damit die Hoffnung auf eine hilfreiche Zeugenaussage

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