Haertetest
nicht mehr, wo er war.«
Das war so typisch für meinen Mann, dass ich es sofort glaubte.
Und ich war froh, dass er so plausible Erklärungen hatte.
Trotzdem blieb da noch etwas. »Du bist nie mehr zu Hause. Ewig arbeitest du.«
Jetzt liefen mir die Tränen nur so über die Wangen.
Seine Arbeitszeiten fand ich viel schlimmer als seine Knutscherei mit der Praktikantin. Wobei das eine ja das andere bedingte.
»Sophie, das ist so ungerecht! Du weißt doch, dass ich befördert wurde! Wie soll ich denn öfter zu Hause sein, wenn ich dort meine Arbeit erledigen muss!«
Er machte es sich so unglaublich leicht! Es würde ja wohl eine Möglichkeit geben, wie wir trotzdem eine Beziehung führen konnten. Andere schafften das ja auch!
»Dann lass dir eben was einfallen, wie du das änderst!«, forderte ich. »Wir müssen mehr Zeit miteinander verbringen, sonst sind wir bald genauso geschieden wie Holger und Lilly! Und abgesehen davon schlafe ich bis auf Weiteres bei Lilly im Zimmer!«
Ich konnte jetzt einfach nicht mehr. Müde, wie ich war, würde ich bald nicht mehr die nötige Kraft haben, ihm zu widerstehen. Wenn er mich so ansah – und seine Augen waren viel, viel schöner als die von Tim –, konnte ich es einfach nicht lange aushalten, ihn nicht zu berühren. Er war mir so nah. Und im Moment doch so fern.
»Ich geh jetzt schlafen. Wir müssen wann anders weiterreden. Gute Nacht!«
Damit trampelte ich aus der Küche, zwang mich einen kurzen Moment dazu, nicht die Tür zu knallen, und riss sie wieder auf. »Und dass du mit deiner Praktikantin geknutscht hast, ist das Allerallerletzte! Du hast Fremdknutsch-Verbot! Für immer!«
Jetzt knallte ich die Tür doch noch zu. Dann stampfte ich in Lillys Zimmer.
»Rutsch mal zur Seite, ich schlafe bei dir«, grummelte ich.
»Hab ich schon mitgekriegt«, murmelte sie. »Wie schlimm ist es denn, auf einer Skala von eins bis zehn?«
»Elf.«
Sie legte ihren Arm um mich, ich weinte ein bisschen, dann schliefen wir den Schlaf der Gestressten. Ganz schwach drang noch ein Gedanke an mein Bewusstsein, der mit Jessica zu tun hatte … Ich wollte irgendwas mit ihr machen. Ich hatte irgendwas vor. Aber was war es nur? Bevor ich den Gedanken festhalten konnte, war er weg, und ich träumte von einem Eisbären mit stahlblauen Augen.
Freitag, 22.10.
»Guten Tag, Hörrförr mein Name, wir hatten ja telefoniert.«
Die Dame vor meiner Haustür strahlte mich an und streckte mir die Hand entgegen. Ich blinzelte in das helle Sonnenlicht und stöhnte. Am liebsten hätte ich mir eine Sonnenbrille aufgesetzt. Mir war schlecht, und mein Kopf dröhnte. In einer halben Stunde musste ich zur Arbeit und vorher noch schnell diesen Termin hinter mich bringen. Unsere potenzielle neue Haushaltshilfe war sehr pünktlich. Um nicht zu sagen überpünktlich. Es war erst Viertel vor neun.
Lilly schlief noch, und Jonas hatte Maja überraschenderweise in den Kindergarten gebracht, bevor er zur Arbeit gefahren war. In der Küche lag ein Zettel:
Meine Sonne, es tut mir wirklich alles sehr leid!
Ich habe darüber nachgedacht, dass wir vielleicht mehr Zeit miteinander verbringen sollten. Ich möchte gerne heute Abend noch einmal in Ruhe mit dir reden. Jetzt schlaf dich erst mal aus. Ich bringe Maja in den Kindergarten.
Ich liebe dich xxx, dein Jonas
Fast hätte ich gelacht. Jetzt verkaufte er es als seine Idee, dass wir mehr Zeit miteinander verbringen sollten. Wie niedlich. Ich wusste nicht mal genau, ob es vielleicht schon zu spät war für uns. Vielleicht hatten wir uns schon so sehr voneinander entfernt, dass uns nichts mehr retten konnte, auch keine gemeinsamen Kinoabende mehr.
Andererseits liebte ich ihn über alles und konnte mir ein Leben ohne ihn einfach nicht vorstellen. Nein, er würde sich jetzt eine Weile bemühen müssen, und dann würden wir weitersehen. Trotzdem hatte ich heute Abend gar keine Zeit, weil ich mit Lilly zur Wahrsagerin ging. Vielleicht würde die mir sagen können, ob Jonas die Wahrheit gesagt hatte. Dass außer ein bisschen Knutschen wirklich nichts gewesen war.
Ach verdammt. Wenn ich doch nur endlich zur Ruhe kommen würde! Wenn ich ihm das doch einfach glauben und wieder zur Tagesordnung übergehen könnte!
Frau Hörrförr räusperte sich. Ich riss die Augen auf. Oh, war ich eingeschlafen? An meiner Haustür? Na ja, es gibt für alles ein erstes Mal.
»Guten Morgen!«, krächzte ich und schüttelte ihre Hand. Gott, wie viel hatte ich gestern
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