Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
streichelte, durchlief sie ein Wohlbehagen, das sich bis in die Kniekehlen fortsetzte.
Sie ließ sich auf den Boden ziehen, Dante lehnte sich an einen Grabstein. »Anna und Alfred Jonsson, geliebt und unvergessen«.
»Was machst du denn hier? Ich dachte, ihr habt jetzt Schule?«
Sie starrte zu Boden, in den Schneematsch und den Lehm, traute sich nicht, ihm in die Augen zu schauen.
»Ich habe keine Luft bekommen und musste ein bisschen raus.«
»Ist ja nett, dass man das darf. Auf einer normalen Schule würde das nicht gehen. Mein Gott, was gäbe das für ein Theater, wenn man einfach aufstehen und rausgehen würde, nur weil einem danach ist.«
Sie schaute zu ihm hinüber, die schwarzen Haare hingen über die Stirn und verdeckten die Augen. Und wieder hatte er beinahe etwas Liebes. Wenn sie ihm nicht in die Minipupillen schaute, wenn sie sich stattdessen auf seinen Mund konzentrierte und das schelmische Lächeln, dann wirkte er fast normal.
»Ich habe die Schule wirklich gehasst. Ich habe mir nichts sagen lassen und nichts gelernt. Nee, Anpassung war noch nie mein Ding. Und dann ist ja auch nichts draus geworden. Du kannst froh sein, dass du diese Chance bekommst.«
Er schien sehr viel über den Alltag auf dem Sonnenblumenhof zu wissen, mehr als sie gedacht hatte. Vermutlich war der Kontakt zwischen Dante, Nora und Sussie sehr viel enger, als sie vermutet hatte. Die Neugier überwand die Müdigkeit, oder war durch Dantes plötzliches Auftauchen die Angst erwacht? Er hatte sie erschreckt, ihr Herz schlug immer noch wie wild. Schon hier mit ihm zu sitzen, machte sie ganz matt. Und doch wurde sie auch von ihm angezogen, die Angst machte sie auch lebendig, und das war besser als die bleischwere Müdigkeit.
»Und du, warum bist du mitten am Tag hier draußen? Hast du keine Arbeit?«
Er schaute sie an und grinste schief.
»Na ja, nicht direkt. Man könnte sagen, meine Arbeit ist, die Menschen glücklich zu machen. Eine Art Weihnachtsmann, der hin und wieder mit Geschenken kommt. Manchmal ist es ein Austausch, dass ich auch davon leben kann. In einer halben Stunde treffe ich zum Beispiel Nora und Sussie und mache ein bisschen Geschäfte mit ihnen. Darf ich die Dame zu etwas einladen, während wir warten? Die Zeit vergeht dann schneller, die Kälte verschwindet und der ganze Tag wird erträglicher.«
Sie drehte den Kopf und schaute zur Schule hinüber. Die Leuchtröhren in den Klassenzimmern machten die Gestalten sichtbar. Sie bildete sich ein, Lotta und Göran vorne am Pult zu erkennen. Niemand kam heraus, sie war unsichtbar, außer für Dante, der immer noch lächelte und eine kleine Tüte mit weißen Pillen aus der Innentasche seines Mantels holte.
»Bitte sehr! Ein Geschenk von mir.«
Er hielt ihr die Tüte hin. Zwei grauschwarze Krähen krächzten über ihnen von einem Zweig. Julia schaute nach oben in die schwarz glänzenden Augen. Die Krähen traten von einem Fuß auf den anderen, schaukelten ein paar Mal und flogen davon. Hinauf, weg, fort von hier. Vermutlich, eventuell, vielleicht. Ja, so war es.
Ihre Hand, die am Morgen noch bleischwer gewesen war, war jetzt federleicht, ein bisschen unsicher pickte sie eine Pille aus der Plastiktüte.
Sie schmeckte bitter und nach Chemie, Dante wusste das offenbar, er hielt ihr gleich eine Flasche mit Wasser hin. Sie trank ein paar Schlucke, und der bittere Geschmack verschwand.
Er lächelte sie an.
»Gleich geht’s dir gut, geht’s dir gut …«
Sie lächelte blass zurück, um nicht allzu unhöflich zu sein, dann schloss sie die Augen. Kurz darauf übernahm wieder das Gefühl von Unwirklichkeit ihren Körper. Sie fühlte sich bleischwer und federleicht zugleich. Konnte wieder atmen und wusste auch nicht mehr so genau, warum sie solche Angst vor Dante gehabt hatte. Sie lächelte immer weiter, konnte gar nicht aufhören.
Um sie herum wurde es warm, weiche Watte wärmte sie. Sie saß in der Küche zu Hause bei Annika und Emma. Annika lachte und goss dampfend heißes Wasser in die Teekanne. Ein Duft von Rauch war in der Küche, in der sie so gerne saß. Emma strich eine dicke Schicht Butter auf ihren Toast, sie biss zwei große Stücke ab, die fast nicht in ihren Mund passten, Emma hatte immer Hunger.
»Hallo Julia! Komm und setz dich!«
Ein scharfer Gestank, feucht und erstickend, ließ sie die Augen aufschlagen. Dantes Gesicht war ganz nah, sein Mund weit offen, daher kam der Gestank. Sie spürte, wie sich seine Hand unter ihren Pulli schob und ihre Brust
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