Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen
wie ein Schmierenschauspieler, der sich mit seiner überschätzten Dramatik eher der Lächerlichkeit preisgibt und dabei noch mit auffällig falscher Betonung rezitiert:
»Wie der Arzt es vorhergesagt hatte, so geschah es. Detlef Dintefaß konnte das Bett nicht mehr verlassen. Von seiner früheren Kraft schien nur noch eine weinerliche Ungeduld zurückgeblieben zu sein. Sein unfertiger Roman lag unerreichbar fern auf dem aus Eichenholz geschnitzten Schreibtisch. Er konnte ihn nicht mehr erreichen. Immer wenn die Krankheit ihn überkam, sein Körper erschöpft zusammenbrach, brach auch seine letzte Hoffnung zusammen.
›Ei du mein lieber Herrgott! Das Schicksal treibt mich ohne Erbarmen in die Schwermut. Ich werde wohl doch nur der Novellist bleiben, der ich immer war!‹
Er betrachtete vom Bett aus die vier Eulen, die seinen kunstreich verzierten Schreibtisch schmückten. Mit tiefsinnigem Blick, die Köpfchen leicht nach vorn gebeugt, schauen sie auf sein beschriebenes Papier herab. Ihre Häupter tragen dabei geduldig den mächtigen Holzaufsatz, wie er jetzt die Last seines Sterbens tragen muss.
Er hatte das wahrhaft fürstliche Möbel seinerzeit beim Holzbildhauer Heinrich Sauermann in Auftrag gegeben. Die Eulen aber ließ nur ein zufällig Geschick auf seinen Schreibtisch kommen. Beim Besuch des Meisters fiel ihm nämlich ein pfiffig junger Lehrling auf, mit Namen Emil Nolde, der konnte das Schnitzmesser führen, dass es sein Gemüt erquickte.«
Kargel legt das Blatt auf den Schreibtisch zurück und blickt gespannt zu dem Mann auf dem Sofa hinüber. Der verzieht nur geringschätzig den Mund und zuckt mit den Schultern. Nachdem er einen kurzen Moment gewartet hat, lächelt Kargel triumphierend.
»Ihnen ist natürlich nichts aufgefallen?« fragt er arrogant und tritt wieder hinter seinen Schreibtisch. Sein bis dahin verdorrter Habitus wirkt mit einem Mal wesentlich lebendiger.
»Na ja, das hab ich mir schon gedacht.«
Keine Antwort vom Sofa. Kargel hat sich in der Zwischenzeit vor seinen Laptop gesetzt und eine Datei auf den Bildschirm geladen.
»Passen Sie gut auf! Ich lese Ihnen den entscheidenden Abschnitt aus meinen Gutachten vor.
Zitat: Beim Besuch des Meisters fiel ihm nämlich ein pfiffig junger Lehrling auf, mit Namen Emil Nolde, der konnte das Schnitzmesser führen, dass es sein Gemüt erquickte. Hinter diesem Ausschnitt verbirgt sich der eindeutige Beweis für die Fälschung des vorliegenden Storm-Textes. Es ist zwar wahr, dass der 17-jährige Emil Nolde von 1884 bis 1888 als Bildhauerlehrling beim Möbelfabrikanten Heinrich Sauermann arbeitete. Doch der junge Nolde führt zu der Zeit noch seinen Geburtsnamen Emil Hansen. Er veränderte diesen Namen erst 1902, 14 Jahre nach Storms Tod. Erst ab da nannte Emil Hansen sich Emil Nolde, nach seinem Geburtsort Nolde um dadurch der starken Identifikation mit seiner nordfriesischen Heimat Ausdruck zu verleihen. Storm war zum Zeitpunkt dieser Namensänderung bereits lange tot und konnte daher unmöglich den Namen Nolde kennen, geschweige denn in seinem Roman verwenden. Es handelt sich bei dem vorliegenden Manuskript des Romans ›Detlef Dintefaß‹, zwar um eine handwerklich hervorragend gemachte, täuschend echte, nichtsdestotrotz um eine eindeutige Fälschung.«
Kargel hebt seinen Kopf und bewegt ihn ruckartig nach vorn. Der Mann auf dem Sofa fühlt sich an einen Raubvogel erinnert, der neben der Bundesstraße darauf lauert, dass einer der rasenden Pkws einen Hasen erwischt. Er kann seine teilnahmslose Körperhaltung nicht mehr aufrecht erhalten. Abrupt rutscht er nervös auf dem Sofa hin und her. Auf seiner Stirn haben sich dicke Schweißperlen gebildet. Seine Hand tastet vorsichtig über seine Manteltasche.
»Haben Sie, – haben Sie das Gutachten etwa schon veröffentlicht?«, stammelt er und in seiner Stimme klingt echte Beklommenheit durch.
»Nein, mein Wertester! Ich kann es mir doch nicht nehmen lassen, Sie in so einem Fall als Ersten zu unterrichten. In fünf Tagen ist von der Zeitung eine Pressekonferenz anberaumt, bis dahin werde ich das Gutachten in allen Feinheiten ausgearbeitet haben!«
Kargel strahlt über das ganze Gesicht, während beim anderen Mann sämtliche Farbe aus dem Antlitz verschwunden ist.
»Sollte man sich das mit der Fälschung nicht noch einmal überlegen?«
»Überlegen?«, fragt Kargel erstaunt. »Überlegen? Ich verstehe nicht?«
»Na ja, mit einem Roman von Storm ist schließlich eine Menge Geld zu
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