Halsabschneider. Kadir Bülbüls erster Fall
Stück Pizza. Er verschlang es mit
drei Bissen und wischte sich die Hände an seiner Jeans ab. Noch immer trug er
die gleiche Kleidung wie am Vortag, als er mit Nevin am Strand spazieren
gegangen war, denn Dalga hatte ihn und seinen Onkel sofort mit aufs Revier
geschleppt. Und nachdem sein Onkel gehen durfte, waren Dalga und er zum
Meridian Club gefahren, denn Bülbül hatte das All-Inclusive -Bändchen
identifiziert, nachdem man den Toten vollständig ausgegraben hatte.
Bei
der Polizei war bislang keine Vermisstenmeldung eingegangen, was bei dem
vermuteten Todeseintritt vor weniger als vierundzwanzig Stunden noch kein
Erstaunen auslöste. So mancher Nachtschwärmer fand sich erst zwei oder drei
Tage nach Beginn eines ausgedehnten Zuges um die Blöcke in seinem eigenen
Hotelzimmer wieder.
Auch
im Meridian Club hatte sich niemand bei Olli Reinecke oder an der Rezeption
gemeldet, niemand hatte bei Bülbül eine Nachricht hinterlassen, dass er eine
Person suchen solle. Die Zimmermädchen wurden befragt und erklärten, dass alle
Zimmer, die belegt waren, auch benutzt worden waren.
Dalga
und Bülbül sahen sich an. Niemand wurde vermisst.
Doch
nach und nach sickerte die Botschaft von dem Toten „dort draußen in der Türkei“
durch die Clubanlage und schließlich hatte gegen Mittag eine Frau, begleitet
von Olli Reinecke, zögerlich das Polizeirevier betreten.
Kadir
schnappte sich ein weiteres Stück Pizza. Seda reichte ihm ein Glas Weißwein und
er lächelte sie dankbar an.
»Danke,
im Moment fühle ich mich wie im siebten Himmel! Was für ein Tag!«
Seda
lächelte zurück und Schmalfuß blickte vom einem zur anderen. Für den Moment war
er versucht, den beiden lieben Kindern, die er so sehr und von Herzen mochte,
die Hände zart auf die dunklen Köpfe zu legen und andächtig einen Moment
innezuhalten. Er tat es nicht.
»Die
neue Frisur steht Ihnen blendend!«
Seda
verstand. Es war seine Art sich für etwas zu entschuldigen, wofür er sich
verantwortlich fühlte. Dass der ungünstige Verlauf des merkwürdigen
Zusammentreffens mit Nevin nicht seine Schuld gewesen war, machte die Geste für
Seda umso liebenswerter. Aber, zum Henker, lieber Kadir, ich werde mir nicht
anmerken lassen, dass du jetzt einen Kuss verdient hast, dachte Seda und
antwortete in lockerem Ton:
»Sie
sind mir wieder mal was schuldig! So viel steht fest.«
»Ich
stimme Ihnen vollkommen zu. Ich werde es wiedergutmachen, das schwöre ich.«
»Kinder,
Kinder, ich weiß nicht wovon Ihr redet! Lasst uns beim Thema bleiben!«
Schmalfuß spürte eine Sentimentalität, die ihn nicht mit einschloss, und setzte
seine Ex-Kommissar-Miene auf. Kadir nahm noch einen Schluck Wein und erzählte
weiter.
Die
Frau, die ungeduldig dem Militärmarsch lauschte, der bei ihrem Eintritt
erklungen war, wurde von Olli Reinecke als Frau Eveline Volkmann vorgestellt.
Sie setzten sich hinter dem Empfangstresen um den Tisch, auf dem nicht wie
üblich Dominosteine lagen, sondern ein Sammelsurium aus Aktendeckeln, Papier,
fettigen Servietten und Teegläsern von der Betriebsamkeit und Hektik der vergangenen
Stunden kündete. Refik Dalga registrierte missbilligend, dass Frau Volkmann
sich wie selbstverständlich auf seinen Platz direkt vor den Ventilator gesetzt
hatte, so dass nur ein Hauch von Kühlung seine Ohren streifte. Er begann zu
schwitzen und zerrte an seinem Kragen.
Frau
Volkmanns asymmetrisch geschnittenes Haar flatterte im Wind und bedeckte ihr linkes
Auge. Sie wischte es immer wieder erfolglos beiseite, aber, wie Kadir erstaunt
bemerkte, dies war keine Geste, die aus Nervosität oder Angst entstanden war,
denn Frau Volkmanns kommandierte mit ruhiger und für ihr vogelartiges Aussehen
merkwürdig rauchiger Stimme, dass sie ein Glas Wasser wünschte. Und zwar
sofort. Dalga fügte sich, obgleich er es ihr gerne heimgezahlt hätte. Levent
Kirik räumte die Papierberge beiseite, stapelte sie vorsichtig auf den
Schreibtisch neben die Fotos von Familie Dalga und dem Präsidenten, und holte
dann eilig eine Karaffe Wasser und Gläser. Dann setzte er sich aus Platzmangel
auf den Tritt, der Dalga als Podest hinter dem Tresen diente, und stützte sein
Kinn auf den Knien ab. Ob diese Frau die Mörderin war? Ihm ging diese ganze
Aufregung mächtig auf die Nerven und fast sehnte er sich nach den Tagen
demütigender aber ruhiger Dominopartien zurück.
»Und
dann erzählte sie, dass sie ihren Mann seit drei Tagen nicht mehr gesehen
hatte, genauer gesagt verlor sie, und ich
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