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Hamburger, Hollywood & Highways

Titel: Hamburger, Hollywood & Highways Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Oliver Bachmann
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um den amerikanischen Goethes, Schillers, Wielands und Herders zu huldigen, die ganz sicher alle mal dort gelebt hatten. Ich mach's kurz, weil's kurz war: Ich fuhr nach Weimar rein, blinzelte, und war schon wieder draußen. Auf dem Ortsschild stand: Population 29 . Muss man mehr sagen? Ich gab Gas, denn die einarmige Banditen von Reno warteten.
    Wenn man Stunde um Stunde Auto fährt, denkt man an die seltsamsten Dinge. Ich dachte an den Rubikon. Den musste Julius Cäsar 49 v.C. während des Bürgerkriegs gegen Gnaeus Pompeius Magnus überschreiten, was er mit den Worten alea iacta est auch tat, der Würfel ist gefallen. Seither gilt die Querung dieses Flusses als Metapher für unwiderrufliche Handlungen. Weil vor mir der amerikanische Rubicon lag, mehr ein Flüsschen als ein Fluss, und es plötzlich wie aus Kübeln schüttete, rief auch ich alea iacta est , bevor es über die Brücke ging. Schließlich soll man die Götter ehren, lautet eine goldene Regel der christlichen Seefahrt, und die hat auch auf amerikanischen Highways ihren Stellenwert. Hinter dem Rubicon kam der Ort Gold Run, da begann es zu hageln, dann hörte ich im Radio etwas, das wie „Schnee“ klang, und lachte darüber. Schnee im Juli, guter Witz. Auf der Höhe von Crystal Spring graupelte es, und im Lake Tahoe National Forest lag Schnee auf den Baumspitzen.
    Dann lag Schnee auf der Straße.
    Vor allem aber lag Schnee im Graben, in den ich kurz darauf schlidderte. Ich schimpfte und kurbelte am Lenkrad, ich schimpfte und gab Gas, ich schimpfte noch mehr und tat alles zugleich, und auf einmal schoss das Auto heraus, drehte sich im Kreis und fuhr weiter, als sei das alles nichts gewesen. Wars auch nicht, denn von da an kam es richtig dicke. Weiße Flocken wirbelten vom Himmel, und am Donner Pass rutschte ich auf einer geschlossenen Schneedecke über die Passhöhe. Die lag in 2200 Meter Höhe, doch war das nicht der Grund, weshalb ich mich unwohl in meiner Haut fühlte. Das lag am Gedenken an die schlimmste Siedlerkatastrophe in der Geschichte Amerikas, die sich 1846 an dieser Stelle abgespielt hatte. In diesem Jahr war ein großer Treck unter der Führung der Gebrüder George und Jakob Donner von Fort Bridger im heutigen Wyoming in westliche Richtung aufgebrochen, trotz der Warnung des berühmtesten Mountain Man aller Zeiten, Jim Bridger. Mit Mühe überwanden die Siedler das Gebirge der Wasatchkette, kämpften sich durch die Großen Salzwüsten, ließen dort einen erschöpften Mann allein zurück, während ein zweiter im Streit erschossen wurde. Dann kam ein Schneesturm, dann noch einer, und schließlich der Donner Pass. Da hatten die Siedler schon längst ihre Transportochsen geschlachtet, weil die Vorräte aufgebraucht waren. Die ersten Leute starben an Entkräftigung und Hunger, als ein Blizzard die Überlebenden einschloss. Also begannen diese, die Toten zu essen. Am Ende schafften es ein paar Wenige auf die andere Seite des Passes, und denen musste man nichts mehr davon erzählen, zu was Menschen in Extremsituationen fähig sind.
    Trotz Schneetreibens kletterte ich aus dem Auto. Ein paar Minuten wollte ich denen widmen, die Unglaubliches durchgemacht hatten, weil sie ein neues Leben in einem neuen Land beginnen wollten. Ich fragte mich einmal mehr, was uns immer wieder dazu treibt, den Rubicon zu überqueren, nur um einem Traum hinterherzuhecheln, der zu Elend und Tod führen kann. Da stand ich also, schlotternd im T-Shirt, und meine Gedanken wanderten von den Siedlern weg zu den Abertausenden afrikanischer Bootsflüchtlinge, die in ähnlich verzweifelter Lage noch weniger Hilfe erwarten können als die Trecks von damals. Wie immer fand ich auch auf dem Donner-Pass keine Antworten. Ein paar von uns sind Getriebene, die noch daran glauben, dass irgendwo auf der Erde das verlorene Paradies zu finden sei, oder zumindest Atlantis, El Dorado oder die Karfunkelstadt, der ich alten Sagen folgend im Schwarzwald nachspürte, und auch nie zu Gesicht bekam. Ich murmelte ein Gebet, das kam von selbst über meine Lippen, während die Autofahrer hupten, weil sie den ulkigen Schneemann am Wegesrand lustig fanden.
    Dann stieg ich wieder ein. Und rutschte weiter.
    Dreißig Kilometer hinter dem Donner-Pass überquerte ich auf trockenen Straßen im schönsten Sonnenschein die Grenze von Kalifornien und Nevada. Der Schneefall hatte hinter der Passhöhe aufgehört, doch wie man mir später in Reno versicherte, kamen in dieser Region überraschende Unwetter immer

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