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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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ihn hob und senkte und drehte. Er sank auf die staubige Straße zurück und steckte den Kopf zwischen die Knie.
    Der Lärm herangaloppierender Pferde und Männergeschrei rissen ihn aus seiner Benommenheit. Taumelnd erhob er sich und sprang zurück in den Graben, als eine Bande sepoys vorüberdonnerte, die mit triumphierenden Gesichtern ihre Buschmesser in den Händen schwenkten. Ihre Pferde waren beladen, auch wenn Mr Hunter nicht genau zu sagen vermochte, womit, bis sich ein Bündel löste, das zu locker hinten am Sattel eines Reiters transportiert wurde, und sich sein glitzernder Inhalt über die Straße verteilte. Eine silberne Teekanne fiel ins Gebüsch. Eine Zuckerzange und ein silbernes Milchkännchen landeten neben dem toten sa’is. Ein reich verzierter silberner Bilderrahmen glitt durch den Staub und landete Zentimeter von Mr Hunters Versteck entfernt. Die sepoys hielten nicht an, um ihre hinuntergefallene Beute aufzuheben, sondern verschwanden in Richtung der Eingeborenenstadt.
    Nochmals taumelte Mr Hunter aus dem Graben, wobei ihn der Staub, den die trommelnden Hufe auf der ausgedörrten Erde aufgewirbelt hatten, husten und würgen ließ. Der Schmutz legte sich schnell auf seine blutigen Haare und sein Gesicht, und er rieb erbost daran und versuchte, ihn aus den Augen und der Nase zu bekommen, erreichte aber lediglich, dass er ihn zu einem terrakottafarbenen Brei vermischte. Er spuckte einen Mundvoll Blut und Schlamm zu Boden. Wie sollte er Lilian ohne Pferd finden? Er würde viel zu langsam vorankommen, und ihm drohte Gefahr von Straßenräubern, umherstreifenden Banden von Plünderern oder ganzen Regimentern aufgebrachter sepoys … Der Klang herannahender Hufe ließ ihn wieder in Deckung springen.
    Mr Hunter kroch zurück in den Straßengraben und spähte hervor. Um die Ecke kam ein einzelner Reiter, der auf die Kolonie zuhielt. Die Kleidung des jungen Mannes war blutbefleckt, der Turban auf seinem Kopf schmutzig, seine Pyjamahose mit unheilvollen rostfarbenen Flecken übersät. Er ritt tief über den Hals seines Pferdes gebeugt und klammerte sich unbeholfen mit den Händen an der Mähne fest, während er das Tier antrieb. Mr Hunter schluckte. Selbst von seinem Aufenthaltsort im Graben aus sah er die glühenden Augen des Mannes, seine Zähne, die sich fest um die Klinge eines Messers geschlossen hatten. Dennoch handelte es sich lediglich um einen einzelnen Halunken, sagte sich Mr Hunter, einen kleinen, dünnen Halunken obendrein, und einen, der sich auf einem galoppierenden Pony nicht ganz wohl zu fühlen schien. Es bestand eine Chance, entschied er schlagartig, dass er, wenn er schnell und stark war, den Knaben aus dem Sattel werfen und sein Reittier stehlen könnte.
    Später kam er zu dem Schluss, dass der Schlag, den er am Kopf abbekommen hatte, ihn verwirrt haben musste. Schließlich war es ein waghalsiges und törichtes Unterfangen, sich einem heranstürmenden Pferd, das von einem zornigen und gut bewaffneten Meuterer geritten wurde, in den Weg zu werfen. Doch nachdem er zu der Entscheidung gekommen war, dass alles möglich sei, und mit nur dem Bruchteil einer Sekunde Handlungsspielraum, richtete sich Mr Hunter aus seinem Graben auf und stürzte sich auf den vorüberziehenden Reiter.
     
    Lilian ließ beinahe das Messer zwischen ihren Zähnen fallen, als der schmutzbedeckte Fakir sie von seiner Schlafstelle am Straßenrand aus ansprang. Sie versuchte, einen Schwenker um ihn zu machen, seinen ausgestreckten Händen zu entgehen, doch seine Finger schlossen sich wie eine Fußangel um ihren Stiefel, und sie wurde beinahe von ihrem Pony zu Boden gezerrt. Das Tier bäumte sich auf und drehte sich im Staub.
    Mr Hunter brüllte siegreich auf, ohne die Hufe zu bemerken, die Zentimeter von seinem Gesicht auf- und niederfuhren. Er packte Lilian um die Taille.
    Sie wand sich von einer Seite auf die andere und versuchte, ihn loszuwerden, ohne selbst hinzufallen, versuchte, ihre Pistole zu ziehen und auf sein Gesicht zu richten, ohne die Zügel fallen zu lassen. Sein Kopf war in die zerfetzten Überreste eines befleckten und verrußten Turbans gehüllt, das Gesicht darunter eine Maske aus Lehm. Seine Lumpen flatterten ihm wie Verbandszeug um die Schultern. Wie groß und stark er für einen angeblich halb verhungerten Bettelmönch wirkte. Andererseits wurden diese Straßenfakire stets von Einheimischen gespeist, dachte Lilian zerstreut, während sie versuchte, dem Kerl die Finger abzuschneiden, folglich war es

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