Handyman Jack 10 - Der Erbe
du, was Seeglas ist?«
»Natürlich.«
Was hatte das mit …?
»Dann weißt du, dass das nichts anderes ist als Glas, das von Wellen und Sand im Laufe der Zeit rund geschliffen worden ist. Die Menschen sammeln es. Das weiße Seeglas kommt am häufigsten vor und wird tagtäglich an jedem beliebigen Strand gefunden. Das bunte Glas – rot, blau, grün – ist viel seltener und steht bei Sammlern hoch im Kurs.«
»Und was hat das …?«
»Lass mich einfach ausreden. Ich versuche, das so präzise wie möglich zu formulieren. Andere Welten, andere Wirklichkeiten sind Seeglas für den Verbündeten. Er sammelt sie und hält seinen Mantel darüber. Die größten Sammlerstücke sind aber die Welten mit intelligentem Leben – das Äquivalent zu farbigem Seeglas. Jetzt stell dir mal vor, du hast eine Sammlung aus Seeglas. Wie viel wäre dir da irgendein Einzelstück wert? Würdest du jedes Stück bei jeder Gelegenheit immer wieder in die Hand nehmen und unter einer Lupe nach neuen Beschädigungen suchen? Würdest du es lieben und wertschätzen und jeden Tag polieren?«
Sie wartete auf eine Antwort, also schüttelte Jack den Kopf. »Nein, natürlich nicht.«
»Das gleiche gilt für den Verbündeten. Er schenkt uns nur einen winzigen Teil seiner Aufmerksamkeit. Aber sagen wir mal, es gibt da ein Raubtier, das sich von Seeglas ernährt und immer auf der Suche nach mehr ist. Dann wirst du doch deine Sammlung beschützen, nicht wahr? Nicht, weil dir ein bestimmtes Teil so sehr am Herzen liegt, sondern einfach, weil diese Sammlung dir gehört.«
»Ich verstehe die Situation.«
»Noch nicht ganz. Ein offener Angriff des Räubers wird nicht funktionieren, da ihr fast gleich stark seid und du ihn mühelos abwehren kannst. Das wurde im ersten Zeitalter versucht und es ist misslungen. Aber das bedeutet nicht, dass der Räuber verschwunden ist. Das ist er nicht. Und das wird er niemals sein. Also musst du mit hinterlistigen Täuschungen und Intrigen rechnen und …« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe das Gefühl, ich verniedliche das alles, und das lag nicht in meiner Absicht.«
»Ich kann noch folgen.«
»Gut. Sie bekriegen sich also auf einer niedrigeren Ebene.«
»Und wer gewinnt?«
»Ich fürchte, die Andersheit. Der Verbündete ist ein Sammler und Liebhaber, der diese Welt, diese Wirklichkeit, will. Die Andersheit braucht sie – sie braucht uns . Sie ernährt sich von Welten wie dieser. Ihr Hunger ist eine stärkere Antriebskraft als die Besitzgier des Verbündeten.«
»Aber wie wird sie uns ihm wegnehmen?«
»Durch eine Täuschung. Sie spiegelt dem Verbündeten vor, diese Welt ist nicht intelligent – sie ist nur wertloses weißes Glas statt des wertvollen bunten. Das meinte Rasalom, als er davon sprach, dass er das Schlachtfeld zu seinem Vorteil umgestaltet. Die Andersheit verlässt sich darauf, dass der Verbündete dann das Interesse verliert und sich zurückzieht – was für uns bedeutet, dass er uns im Stich lässt.«
»Kann er das tun?«
»Er hat damit schon begonnen. Du weißt von Opus Omega?«
Jack nickte. »Die Säulen, die Brady vergraben hat.«
»Ja. Das begann vor Tausenden von Jahren und wird zurzeit von Luther Brady fortgeführt. Wenn das vollendet ist« – sie sah zur Seite – »und wenn ein paar andere Voraussetzungen erfüllt sind, dann hat die Andersheit diese Welt für sich.«
Jack schluckte. »Es gibt keinen Weg, das aufzuhalten?«
»Vielleicht doch … falls die Figur der Andersheit ein für alle Mal vom Verbündeten geschlagen wird. Sie betrachten ihre Spielfiguren als ihre Waffen.«
»Speere.« Das Wort stieß ihm sauer auf.
Sie nickte. »Ja. Und Speere haben keine Äste.«
Es schien fast eine Ewigkeit, in der diese Worte zwischen ihnen hingen. Schließlich brach die Frau das Schweigen.
»Ein Speer muss glatt und gerade sein – eine Waffe. Einen Speer schneidet man aus dem geradesten, härtesten Holz eines Baumes. Aber damit er für seinen Zweck genutzt werden kann, müssen alle Äste, die davon abzweigen, abgeschnitten werden.«
»Und Gia und Vicky und das Baby sind Äste.«
»Tragischerweise ja. Nicht so sehr Victoria, denn sie hat nicht dein Blut in ihren Adern, aber ganz sicher das Baby, und Gia, weil sie das Baby austrägt.«
»Aber der Verlust an Menschenleben …«
»Bedeutet dem Verbündeten gar nichts. Würdest du einen Baum um Erlaubnis fragen, ob du einen Ast abschneiden darfst, um daraus einen Speer zu machen? Würdest du den Ast um Erlaubnis fragen, bevor du
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