Hannas Entscheidung
Schaf bin und masochistisch veranlagt. – Gib es endlich zu: Du bist einfach hoffnungslos verliebt in mich. – Klar, und die Sonne dreht sich um die Erde.
Immer hatte sie ihm auf seine Andeutungen so geantwortet. Hatte den Ausdruck seiner Augen ignoriert, die nie mitlachten und in denen sie manchmal den Schmerz einer unerwiderten Liebe hatte entdecken können – bis zu dem Tag, an dem er Nina kennenlernte. Hanna hatte gesehen, wie er aufblühte, wie gut sie ihm tat und was für zärtliche Gefühle er für sie hegte. Jetzt war Nina tot. Hatte sie ihn nur benutzt oder wirklich etwas für ihn empfunden? Oh Gott, wie oft konnte eine Seele verletzt werden, ohne selber daran zu zerbrechen? Dass sie weinte, merkte sie erst, als Ben ihr mit der Hand die Tränen von der Wange wischte. Er griff in seine Hosentasche und holte ein gefaltetes, sauberes, kakifarbenes Taschentuch heraus und reichte es ihr. Sie musste widerwillig grinsen, was er ebenso erwiderte.
»Verrätst du mir, was mit dir los ist?«
»Nein.«
»Du hattest eine Panikattacke.«
»Hm.«
Sie merkte, dass er einen inneren Kampf ausfocht.
»Hanna, du brauchst keine Angst haben. Wir beschützen dich.«
Sie schnaubte. »Darum ging es nicht.«
Abwartend sah er sie an, doch sie wollte nicht mit ihm darüber reden. Wenn sie es täte, müsste sie über Gefühle reden, über ihre Gefühle, und das machte ihr Angst. Sie wusste, sie würde Viktor nie wiedersehen. Sie wünschte ihm, dass er eines Tages jemanden finden würde, der ihn liebte – ohne Wenn und Aber. Puh, denselben Spruch hatte Ben ihr damals in Rom reingedrückt.
»Es liegt an Viktor, oder?«
Als sie weiterhin stumm blieb, sprach er weiter. »Denkst du, es ist eine Falle?«
Sie wandte sich von ihm ab, starrte in den Himmel, über den Wolken zogen und immer wieder die Sonne verdeckten.
»Nein, ich glaube, wir können ihm vertrauen«.
»Was ist es dann.«
Verflucht! Konnte er sie nicht einfach mal in Ruhe lassen?
»Klaustrophobie«, antwortete sie schließlich, faltete die Hände auf dem Bauch und winkelte ihre Beine an der Wand an.
»Klaustrophobie? Aber du warst doch nicht eingesperrt. Der Raum ist ziemlich groß.«
Sie drehte ihren Kopf zu ihm. »Aber unter der Erde. Keine Fenster, kein Sauerstoff.« Hilfe, allein die Worte lösten ein enges Gefühl in ihrer Kehle aus.
Er sah ihre Reaktion. »Okay.«
Schweigend blieben sie sitzen, bis sein Handy brummte.
»Wahlstrom. – Draußen. – Nein. – Alles in Ordnung. – Ja. – Paul arbeitet daran. Ich bleibe noch mit ihr draußen.« Er runzelte die Stirn. »Solange es dauert«, antwortete er knapp.
Das Handy verschwand in seiner Hosentasche. Er lehnte sich an die Wand und schloss die Augen. Wäre der Rasen nicht so kurz gewesen, hätte das Fenster nicht die Spiegelung der Sonne reflektiert – vielleicht hätte Hanna für einen Moment glauben können, sie wären woanders, in einer anderen Zeit in einem anderen Garten.
Er öffnete die Augen, als er wahrnahm, wie regelmäßig ihr Atem ging. Ihre Beine rutschten die Wand herunter. Kurz darauf drehte sie sich zur Seite, legte den linken Arm unter ihren Kopf. Amüsiert betrachtete er sie. Kurz zuvor war sie noch in einer Panikattacke gefangen gewesen, nun lag sie hier auf dem Rasen vor der Kaserne und schlief. Er entschied, sie eine Weile schlafen zu lassen, und tippte eine Kurzmitteilung an Paul, dass er sich melden solle, wenn er herausbekam, was er mit den zwei Dateien anfangen konnte.
Eine Stunde später bekam er Pauls Rückmeldung per Telefon. »Wo bist du? Hanna ist weg!«
»Ich weiß«, sprach er leise ins Telefon, aber bevor er weiterreden konnte, unterbrach ihn Paul.
»Bist du wahnsinnig? Hartmann macht mich einen Kopf kürzer, wenn er erfährt, dass du mit ihr abgehauen bist!«
»He, immer mit der Ruhe. Wir sind vor der Kaserne.«
»Was um alles in der Welt –?«
»Die Sonne und die frische Luft genießen. Und – hast du eine Idee?«
»Ja.«
»Okay, ich komm runter und sag dem Oberst Bescheid.«
»Schon passiert, er kommt gerade rein.«
Sanft strich Ben Hanna die Haare aus dem Gesicht. Ihre Haut fühlte sich weich an, verletzbar. Ihre Hand wollte das, was da kitzelte, von ihrem Gesicht wegwischen. Sie öffnete die Augen, schreckte hoch, griff sich dann an den Kopf.
»He, langsam. Nichts überstürzen.«
»Ich hab geschlafen.«
»Yep.«
Große, himmelblaue Augen starrten ihn an. »Wie lange denn?«
»Etwas über eine Stunde.«
»Oh Gott.« Sie rieb sich mit
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