Hannas Entscheidung
Hanna nicht mehr darauf eingehen konnte. Konz hatte einen Haufen Akten unter dem Arm, und sie fragte sich, warum dieser Mann im Zeitalter der Digitalisierung immer noch Papier mit sich herumschleppte.
»Eure Exzellenz, es freut mich, dass Sie gekommen sind.«
In seiner offiziellen Kleidung wirkte ihr Onkel Respekt einflößend und unnahbar. Selbst Hanna hätte Probleme gehabt, ihn einfach in den Arm zu nehmen, obwohl sie heute gemeinsam im Schlafanzug gefrühstückt hatten. Sie dachte, dass dies genau seine Absicht war, denn da er Urlaub hatte, bestand für ihn keine Notwendigkeit, in Kardinalstracht herumzulaufen.
Er saß auf ihrer anderen Seite, und Hanna rutschte ein wenig näher zu ihm und brachte so mehr Abstand zwischen sich und Ben – nicht genug, um es angenehm zu nennen. Selbst sein Geruch hing ihr in der Nase, und sie verdrängte energisch das Gefühl, das damit einherging.
Ben hatte Hannas Abrücken bemerkt und fühlte sich darin bestätigt, dass sie etwas vor ihm verheimlichte. Als er sich neben sie gesetzt hatte, machte ihm bereits ihre leicht abgewendete Haltung mit den verschränkten Armen klar, dass sie eine Mauer hochzog. Dann dieses Ablenkungsmanöver. Er kannte das meiste von dem, was kommen würde und ärgerte sich, dass er sich keinen Platz gewählt hatte, wo er Hanna besser hätte beobachten können. Stattdessen hatte er sich hinreißen lassen, ihre Nähe zu suchen. Er hatte sie die letzten siebenundsechzig Stunden vermisst. Ein unangenehmes Gefühl, das sich zunehmend in Unruhe verwandelt hatte, sodass er alle paar Stunden den Kardinal per SMS gefragt hatte, ob alles in Ordnung sei. Das knappe Ja, das jedes Mal als Antwort kam, war nicht besonders befriedigend gewesen. Auch nicht die Nachricht, dass sie nach Hamburg fuhren und Hanna sich mit Harry traf. Am liebsten hätte Ben Hanna an dem Abend direkt von dieser Caroline abgeholt. Seiner Ansicht nach verhielt sich der Kardinal viel zu leichtsinnig. Genauso hätte er Hanna auf einem Präsentierteller herumzeigen können. Auch der Oberst war nicht erfreut über den Ausflug nach Hamburg gewesen.
»Kommen wir zur Sache. Ich habe Sie alle hier zusammengerufen, damit wir den Stand der Ermittlungen besprechen können. Ich hoffe, Ihnen ist klar, Kardinal Voigt, dass wir Ihnen damit ein ungewöhnliches Vertrauen aussprechen. Normalerweise reicht es mir, wenn ich mich mit Oberst Hartmann auseinandersetzen muss.«
»Ich nehme die Beichte ab, ich kenne mich aus mit Verschwiegenheit, Herr Konz«
»In der Tat.« Kurz hielt der Augenkontakt zwischen ihnen beiden. »Paul machen Sie doch den Anfang mit Ihrem Bericht.«
»In Ordnung. Wie alle bereits wissen, haben wir die verloren gegangenen Daten von Medicare wiederherstellen können. Entgegen unserer Hoffnung haben wir dort nichts gefunden, was gegen irgendwelche Gesetze oder Vorschriften verstößt.«
Ben bemerkte Hannas Zusammenzucken nur, weil er sie nicht aus den Augen ließ. Paul hatte nicht alle Informationen herausgegeben. Ben hatte die Aufmerksamkeit bei der Datenanalyse auf die Forschungen von Dr. Frederike Schneider gelenkt. Aber die Frau wusste genau, dass sie sich auf illegalem Gebiet bewegte, und war geschickt vorgegangen. Die vorhandenen Daten lieferten keinen Anhaltspunkt für eine kriminelle Tat. Selbst die E-Mails an Marie Benner – inzwischen Marie Ziegler – waren da keine Ausnahme. Auch wenn verständlich wurde, worum es ging, war alles so vorsichtig formuliert, dass sich daraus keine Anklage erheben ließ.
»Ähnlich ist es mit dem Netzwerk der FoEI, in das wir hineingekommen sind. Alles, was wir darin bisher gesehen haben, erscheint harmlos. Wir denken, dass es sich um eine Art Code handelt, der oberflächlich gesehen einem belanglosen Geplauder zwischen Geschäftsfreunden gleicht, die sich in verschiedenen karitativen und wirtschaftlichen Unterstützungsprojekten zusammengetan haben. Beim Vergleich mit der Tabelle werden sich Zusammenhänge ergeben, doch es sind so viele Daten, dass wir vermutlich locker einen Monat brauchen, um alles durchzusehen.«
Konz wandte sich an Brinkmann. »Wie weit sind Sie mit Ihren Ermittlungen zu dem Mord an Lukas Benner?«
»Wir haben bisher die Person nicht ausfindig machen können, die dem Gefangenen das Mittel hat zukommen lassen. Wir denken, dass sie sich nicht mehr in Deutschland befindet, und sind in Kontakt mit Interpol.«
»Karl?«
Der Oberst rieb sich mit der Hand übers Kinn, warf Hanna einen Blick zu. »Es gibt eine
Weitere Kostenlose Bücher