Harper Connelly 02 - Falsches Grab-neu-ok-10.12.11
meinst,
man wird uns verhaften?«
»Nicht
unbedingt, das habe ich nicht gesagt. Das ist eher unwahrscheinlich.« Art
versuchte wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen. »Ich sage nur, dass
das unsere einzige Chance ist, bei den Leuten hier um Sympathie zu werben, und
es muss bald geschehen.«
Tolliver sah
Art eine Minute lang an. »Na gut«, meinte er schließlich. »Art, du bleibst
hier, während Harper und ich in mein Zimmer gehen und
die Presseerklärung aufsetzen. Danach kannst du sie dir anschauen.«
Ohne unserem
Anwalt auch nur die Chance zu geben, etwas anderes vorzuschlagen, zogen wir uns
in Tollivers Zimmer zurück, wo sein Laptop als unsere Sekretärin herhalten
musste.
Tolliver
setzte sich an den Schreibtisch, während ich mich quer aufs Bett legte. »Dr.
Nunley hat den Namen Tabitha nicht erwähnt, oder? Als er uns bat herzukommen?«,
fragte ich.
»Mit keiner
Silbe. Sonst hätte ich es dir erzählt«, sagte Tolliver. »Er hat nur von dem
alten Friedhof gesprochen, davon, dass es ein echtes Experiment wird, da du
keine Ahnung davon hast, wer da begraben liegt, und es auch nicht herausfinden
kannst. Er wollte wissen, ob dir das was ausmacht. Natürlich erwartete er, dass
ich irgendeine Ausrede vorschieben und versuchen würde, aus der Sache wieder herauszukommen.
Nunley war vollkommen überrascht, als ich zurückmailte und schrieb, dass er mit
uns rechnen könne. Er hatte gerade erst Xylda Bernardo da
gehabt, die Hellseherin. Wie du vielleicht weißt, wohnt sie ganz in der Nähe.«
Ich hatte
Xylda ein, zwei Mal beruflich getroffen. »Wie hat sie sich geschlagen?«, fragte
ich aus schierer Neugier. Xylda, eine bunte Erscheinung von Mitte fünfzig,
liebt es, sich als Zigeunerin zu verkleiden - Unmengen von Schmuck und Schals,
langes wirres Haar -, weshalb ihr die Leute sofort misstrauen. Aber Xylda
besitzt tatsächlich eine besondere Gabe. Leider schmückt sie ihr bisschen
Talent wie die meisten kommerziellen Hellseher mit viel theatralischem Gehabe
aus, weil sie meint, dass das ihre Visionen glaubwürdiger macht.
Hellseher -
echte Hellseher - bekommen eine Menge Informationen, wenn sie etwas berühren,
das einmal einem Verbrechensopfer gehörte. Leider sind diese oft so vage, dass
sie praktisch wertlos sind (etwa: »Die Leiche wurde auf freiem Feld
verscharrt«), außer man weiß von vornherein, wonach man suchen muss. Selbst wenn es ein paar Hellseher gibt, die
beispielsweise ein klares Bild von dem Haus vor Augen haben, in dem ein Kind
festgehalten wird, nützt das in der Regel nicht viel - außer der Hellseher
sieht gleichzeitig die Adresse, so dass die Polizei einen Verdächtigen
ermitteln kann. Zwar gibt es Hellseher, die sogar das können, aber auch
dann müssen sie die Polizei erst einmal von ihren Fähigkeiten überzeugen, was
nicht ganz einfach ist.
»Oh, laut
Nunley hat Xylda ihre übliche Show abgezogen«, sagte Tolliver. »Vages Zeug, das
ähnlich überzeugend ist wie ›Ihre Großmutter sagt, Sie sollen nach etwas
Unerwartetem auf dem Dachboden suchen. Nach etwas, das Sie sehr sehr glücklich
machen wird.‹ Oder: ›Hüten Sie sich vor dem Schwarzen Mann, der unerwartet
auftaucht, denn er ist nicht vertrauenswürdige Das ist vage genug, um alles
Mögliche zu bedeuten. Die Seminarteilnehmer fanden es ziemlich gruselig, dass
Xylda darauf bestand, die Leute anzufassen, denen sie die Zukunft voraussagte.
Die Studenten wollten nicht, dass Xylda ihre Hand hielt. Aber so funktioniert
das nun mal, für Xylda ist Körperkontakt unerlässlich. Hältst du sie für echt?«
»Meiner
Meinung nach ist das meiste, was Xylda ihren Klienten erzählt, völliger
Quatsch. Aber ich glaube schon, dass sie Momente hat, in denen sie wirklich
Sachen sieht.«
Hin und
wieder frage ich mich, was wohl passiert wäre, wenn mich der Blitz heftiger
getroffen hätte. Wenn ich ein paar Volt mehr abbekommen hätte - könnte ich dann
auch sehen, wer für den Tod der Menschen verantwortlich ist, die ich
finde? Manchmal denke ich, so eine Gabe wäre fantastisch und wirklich
praktisch. Und manchmal erscheint sie mir wie der schlimmste Albtraum, den man
sich vorstellen kann.
Was, wenn
der Blitz durch meinen Fuß oder Kopf gegangen wäre, statt vom Waschbecken auf
den Lockenstab überzuspringen, den ich in der Hand hielt? Was wäre dann
passiert? Wahrscheinlich würde ich dann nicht mehr leben. Mein Herz wäre
endgültig stehen geblieben, statt nur für ein paar Sekunden. Die
Wiederbelebungsmaßnahmen hätten
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