Harper Connelly 02 - Falsches Grab-neu-ok-10.12.11
dass
Victor wegen Tabithas Verschwinden zu den Verdächtigen gehörte, und war ständig
präsent gewesen. Vielleicht, weil sie dachte, Diane und Joel seien wegen des
Verlusts ihrer Tochter nicht wirklich in der Lage, sich um den Jungen zu
kümmern und seine Interessen zu wahren.
»Sie haben
sie gefunden«, sagte Joel, nahm meine Hand und schüttelte sie heftig. »Gott
segne Sie, Sie haben sie gefunden. Der Gerichtsmediziner sagt, dass es noch
dauert, bis sie offiziell identifiziert wird, aber der Zahnstand passt. Wir
müssen das für uns behalten, aber Dr. Frierson war so nett, uns persönlich
Bescheid zu geben. Gott sei Dank können wir jetzt endlich etwas Frieden
finden.«
Da ich eine
ganz andere Reaktion erwartet hatte, verschlug es mir erst einmal die Sprache.
Zum Glück hatte sich Tolliver besser im Griff.
»Bitte,
Diane, Joel, setzen Sie sich doch«, sagte er.
Diane hatte
schon immer zerbrechlicher gewirkt als Joel, damals erst recht, als sie noch
kein Kind unter dem Herzen trug.
»Lassen Sie
sich erst einmal umarmen«, sagte sie mit ihrer leisen Stimme und legte die Arme
um mich. Ich spürte, wie ihr dicker Bauch gegen meinen flachen drückte und
auch, wie sich etwas bewegte, während sie mich umarmte. Eine Sekunde später
begriff ich, dass es das Baby war, das gegen ihren Bauch trat. Irgendetwas in
mir verkrampfte sich in einer Mischung aus Entsetzen und Sehnsucht. Ich ließ
Diane los und wich vor ihr zurück, wobei ich mich zwang, sie anzulächeln.
Felicia Hart
war Gott sei Dank niemand, der andere umarmt. Sie gab mir die Hand, aber
Tolliver umarmte sie dann doch. Sie flüsterte ihm sogar etwas ins Ohr. Ich
blinzelte erstaunt. »Schön, Sie zu sehen«, sagte sie eine Spur zu laut und sah
zwischen mir und Tolliver hindurch. Felicia war single. Ich
schätzte sie auf Anfang dreißig. Sie hatte glänzendes, braunes, kinnlanges
Haar, und auch ihr perfekt geschnittener Pony blieb, wo er hingehörte. Als
unabhängige, berufstätige Frau konnte sie ihr gesamtes Geld für sich selbst
ausgeben, und das sah man ihrer Kleidung und ihrem Make-up auch an. Wenn ich
mich richtig erinnerte, war Felicia Vermögensberaterin bei einer überregionalen
Firma. Obwohl ich nie lange mit ihr gesprochen hatte, wusste ich, dass sie sehr
intelligent und selbstbewusst sein musste, um in einem derart
verantwortungsvollen Job so erfolgreich zu sein.
Als wir alle
saßen, Joel und Diane auf dem Zweiersofa, Felicia auf der Lehne neben Diane,
und Tolliver und ich in den Ohrensesseln auf der anderen Seite des Couchtisches
und Art auf einem etwas abseits stehenden, unbequemen Stuhl, merkte ich, dass
ich irgendeine Unterhaltung in Gang bringen musste.
»Es tut mir
so leid«, sagte ich schließlich, weil es das war, was ich empfand. »Es tut mir
leid, dass ich sie erst so spät gefunden habe, und dann unter Umständen, die
Ihnen das Leben nicht gerade leichter machen werden.« Auch uns machten die
Umstände das Leben nicht gerade leichter, aber das war wohl kaum der geeignete
Moment, um darauf hinzuweisen.
»Sie haben
recht, das sieht nicht gut für uns aus«, sagte Joel. Er nahm Dianes Hand. »Wir
wurden vorher schon verdächtigt. Felicia natürlich nicht, aber Diane, ich und
Victor. Und jetzt, wo...« Er hatte Mühe weiterzusprechen. »Jetzt, wo ihre
Leiche ausgerechnet hier gefunden wurde, glaubt die Polizei bestimmt, dass es
einer von uns war. Es sieht nicht gut aus. Wenn sie nur wüssten, wie sehr wir
Tabitha geliebt haben ...« Er seufzte schwer. »Vielleicht glauben sie, wir
hätten uns alle miteinander verschworen, um Tabitha umzubringen. Sie werden
schließlich dafür bezahlt, misstrauisch zu sein. Sie können ja nicht wissen,
dass wir so etwas nie im Leben tun würden. Aber solange sich die Polizei auf
uns konzentriert, kann sie nicht nach dem Mistkerl suchen, der sie wirklich
entführt hat.«
»Genau«,
sagte Diane und strich sich kreisförmig über ihren Bauch. Ich wandte den Blick
ab.
»Wie lange
verdächtigt die Polizei Sie schon?«, fragte Tolliver. Als wir damals
hinzugezogen wurden, galt Tabitha bereits seit mehreren Wochen als vermisst,
und die Polizei war nur noch selten da gewesen. Aber uns hatte die herzliche
Beziehung beeindruckt, die zwischen Detective Haines,
der den Fall als Einziger immer noch nicht aufgegeben hatte, und den
Morgensterns entstanden war. Ich hätte wissen müssen, dass die anderen
Polizisten vielleicht ganz anders dachten. Doch Haines hatte die Morgensterns
deutlich besser kennengelernt als
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