Harper Connelly 02 - Falsches Grab-neu-ok-10.12.11
gestellt hatte. Felicia wirkte
nicht ganz so begeistert, sondern eher ungeduldig. Vielleicht befürchtete sie,
dass Victor jetzt erst recht zu kurz kommen würde, wenn das Baby erst da wäre.
Aber vielleicht gruselte es Felicia noch mehr vor schwangeren Frauen als mir.
»Doch im
Moment geht es hier um Tabitha«, sagte Diane, um uns sanft wieder an die
grausige Realität und die Leiche auf dem Friedhof zu erinnern. »Wie... Sie
wissen, wie sie gestorben ist?«
»Sie wurde
erstickt«, sagte ich, weil mir nicht einfiel, wie ich es netter hätte
ausdrücken können. Tod durch extremen Sauerstoffmangel vielleicht? Ich war
nicht zum Scherzen aufgelegt, schon gar nicht der Mutter eines toten Kindes
gegenüber.
Das Paar
bemühte sich, diese Neuigkeit zu verdauen, aber Diane konnte ein entsetztes
Stöhnen nicht unterdrücken. Felicia wandte den Kopf ab, ihr Gesicht war eine
ausdruckslose Maske, hinter der sich intensive Gefühle verbargen.
Es gibt
schlimmere Arten zu sterben, aber das war wohl kaum ein Trost. Tod durch
Ersticken ist schlimm genug. »Es muss innerhalb weniger
Sekunden vorbei gewesen sein«, sagte ich so behutsam wie möglich. »Sie hat
bestimmt sehr schnell das Bewusstsein verloren.« Das war stark übertrieben,
aber Dianes Zustand erforderte eine möglichst schonende Behandlung. Ich hatte
furchtbare Angst, sie könnte gleich noch an Ort und Stelle Wehen bekommen.
Art schaute
mich mit einem höchst merkwürdigen Gesichtsausdruck an, als hätte er mich noch
nie zuvor gesehen. Die Realität und das, was ich tue, schienen ihn unsanft in
den Bauch getroffen zu haben, den er stets so wichtigtuerisch vor sich hertrug.
»Wir sollten
Vic anrufen«, sagte Joel mit seiner warmen Stimme. »Entschuldigen Sie mich
bitte.« Er wischte sich über die Augen und griff nach dem Handy in seiner Hosentasche . Vic, Joels Sohn aus erster Ehe, war ein verstockter
Fünfzehnjähriger gewesen, als Tabitha entführt wurde. Ich hatte gesehen, wie
sehr er sich bemühte, in dieser furchtbaren Situation gefasst zu bleiben.
Diane, die
sehr an dem Jungen zu hängen schien und ihn mehr oder weniger großgezogen hatte
- sie hatte Joel geheiratet, als Victor noch ganz klein war -, sagte: »Wenn er
mich sprechen will, kein Problem«, während Joel aufstand, sich ein paar
Schritte entfernte, uns den Rücken zukehrte und die Nummer eingab.
»Wie geht es
Victor hier in Memphis?«, fragte ich Felicia, nur um irgendetwas zu sagen.
Victor und ich hatten einen merkwürdigen Moment erlebt, als ich versucht hatte,
seine Halbschwester zu finden. Der Junge war ins Wohnzimmer der Morgensterns
gekommen und hatte wild vor sich hingeflucht, anscheinend dachte er, er sei
allein. Nachdem er mich bemerkt hatte, hatte er sich an mich geklammert und
sich an meiner Schulter ausgeweint, wozu er sich ein ganz schönes Stück
hinabbeugen musste. Ich bin es nicht gewohnt, dass man mich anfasst, und hatte
mich überrumpelt gefühlt. Aber ich weiß, was Trauer ist und wie wichtig es ist,
sie rauszulassen. Also hatte ich ihn festgehalten, bis er fertig war. Als er
sich beruhigt hatte und meine Bluse nassgeweint war, hatte sich Victor peinlich
berührt zurückgezogen. Jedes Wort von mir wäre ein Wort zu viel gewesen, also
hatte ich nur genickt. Er hatte zurückgenickt und die Flucht ergriffen.
Felicia
wirkte überrascht. Wahrscheinlich staunte sie, dass ich mich überhaupt noch an
Victor erinnerte. »Es geht ihm gut, zumindest einigermaßen«, sagte sie. »Diane
und Joel haben ihn auf eine Privatschule geschickt. Ich unterstütze sie, so gut
es geht. Er ist ein so sensibler Junge und befindet sich in einer wichtigen
Entwicklungsphase. In diesem Alter können sie sich von einem Moment auf den
anderen in jede Richtung entwickeln. Und jetzt, wo er weiß, dass das Baby
kommt...« Ihre Stimme erstarb, so als wüsste sie nicht mehr, wie sie den Satz
beenden sollte, ohne Joel und Diane ihre schlecht getimte Fruchtbarkeit
vorzuwerfen.
Joel kam
zurück und setzte sich stirnrunzelnd neben seine Frau. »Victor geht es nicht
besonders«, sagte er. Diane wirkte erschöpft, als hätte sie in ihrem Elend
einfach keine Kraft mehr, auch noch andere zu trösten. »Als wir ihn heute in
der Schule angerufen haben, ist er sofort nach Hause gekommen. Wir wollten
nicht, dass es jemand in den Zwölfuhrnachrichten sieht und es ihm anschließend
in der Schule sagt«, erklärte er.
Wir nickten
weise, aber ich musste an etwas ganz anderes denken.
»Wir wussten
gar nicht, dass Sie umgezogen
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