Harper Connelly 02 - Falsches Grab-neu-ok-10.12.11
Wahrscheinlich,
weil er uns irgendwie widerwärtig und verdächtig fand, und dafür wollte ich
mich rächen. Keine gute Idee.
»Ach ja?
Felicia ist so karrierefixiert...« Er verstummte. Er hätte den Satz beenden
sollen, indem er sagte: »... dass ich froh bin, dass sie für so etwas Zeit
gefunden hat« oder »... dass sie nur selten ausgeht.« Diese Worte hätten
wenigstens einen Sinn ergeben. Aber es war, als wäre sein Herz stehengeblieben,
bevor er den Satz beenden konnte. Wir bemühten uns beide, die Fassung zu
bewahren.
Als wir
endlich auf unserem Zimmer waren, überlegte ich, dem alten Herrn ein Taxi zu
rufen und ihn auf keinen Fall selbst zurückfahren zu lassen. Ich machte mir
ernst haft Sorgen um ihn. Er hatte so nett gewirkt auf
dem furchtbaren Morgenstern-Mittagessen. Ernst und traurig, aber auch
aufrichtig, fürsorglich und nachdenklich. Was war nur mit Fred Hart passiert?
»Mr Lang,
Miss Connelly«, sagte er feierlich und blieb mitten in
unserem derzeitigen Wohnzimmer stehen. »Joel hat mich gebeten, Ihnen das hier
zu geben.« Er zog einen Umschlag aus der Innentasche seines Jacketts und
überreichte ihn mir.
Ich starrte
den weißen Umschlag erst eine Weile an, bevor ich ihn aufmachte. Die
Peinlichkeit dieser Situation ließ sich nicht vermeiden. Der Umschlag enthielt
einen Scheck über vierzigtausend Dollar. Das war der Finderlohn für Tabithas
Leiche. Weit mehr, als wir gedacht hatten. Mit diesem Geld und unseren
Ersparnissen würden wir uns ein Haus kaufen können. Meine Augen füllten sich
mit Tränen. Ich hätte das Geld lieber auf andere Art verdient, aber dennoch war
ich froh, es zu haben.
»Sie sind
erschüttert, wie ich sehe«, sagte Mr Hart, der
ebenfalls recht erschüttert wirkte. »Mag sein, dass Sie es nicht annehmen
wollen, Miss Connelly, aber Sie haben Ihre Arbeit
erledigt und es sich redlich verdient.«
Ich wollte
es behalten, hatte fest vor, es zu behalten. Ich hatte es verdient. Aber
irgendwie beschämten mich seine Worte, und mir wurde auf einmal schlecht. Zu
meinem Entsetzen sah ich, wie eine Träne über Fred Harts Wange
kullerte. Ich wusste nicht, wie ich mit diesem weinenden Mann umgehen sollte,
zumal ich den Grund für seine Tränen nicht kannte.
Er ließ sich
schwer in einen Ohrensessel fallen. Tolliver ließ sich in dem anderen nieder.
Sein Gesicht war ausdruckslos. Ich nahm auf der Kante des Zweiersofas Platz,
das ihnen gegenüberstand. Wir hatten gerade erst ein sehr merkwürdiges Gespräch
mit Anne Nunley geführt, und jetzt schien es, als würden wir gleich eines mit
Fred Hart führen.
Natürlich
war der Alkohol nicht ganz unschuldig daran, dass Fred Hart derart von seinen
Gefühlen überwältigt wurde.
»Wie geht es
Joel und Diane?«, fragte ich, was zugegebenermaßen auch nicht sehr intelligent
war. Ich wollte ihn einfach etwas ablenken, da ich nicht wusste, was ich sonst
tun sollte.
»Gott segne
sie, es geht ihnen gut«, sagte er. »Diane ist so ein liebes Mädchen. Es fiel
mir schwer mitanzusehen, dass Joel wieder geheiratet hat und eine andere
Whitneys Platz einnahm. Diane hätte ihn nie heiraten dürfen. Ich hätte nie
zulassen dürfen, dass Whitney ihn heiratet. Er ist nichts für sie, und das
wusste ich.«
»Wie meinen
Sie das? War er gemein zu Whitney?«
»Oh nein, er
hat sie geliebt! Er hat sie gut behandelt, und er liebt Victor, obwohl er ihn
nicht im Geringsten versteht. Aber das passiert bei Vätern und Söhnen häufiger,
im Übrigen auch bei... Vätern und Töchtern.«
»Sie meinen,
Joel hat Tabitha nicht verstanden?«
Er sah mich
mit einem Gesicht an, das immer noch tränenfeucht, aber jetzt auch ungeduldig
war. »Nein, natürlich nicht. Niemand ›versteht‹ Mädchen in diesem Alter, und
schon gar nicht die Mädchen selbst. Nein, was ich eigentlich sagen will, ist
... aber es spielt ohnehin keine Rolle, was ich sage.«
Mein Herz
klopfte ängstlich. Ich spürte, dass wir ganz nah dran waren, zu erfahren, was
sich an jenem Frühlingsmorgen im Haus der Morgensterns abgespielt hatte.
»Wollen Sie
damit sagen, dass Joel Tabitha sexuell belästigt hat?«
In dem
Moment gingen bei ihm die Klappen runter, und ich merkte, dass ich einen
furchtbaren Fehler gemacht hatte.
»Was für
eine hässliche Unterstellung. Widerlich. Ich bin mir sicher, dass Sie so
einiges zu sehen bekommen, bei Ihrer Arbeit. Aber so etwas gibt es nicht in
unserer Familie, junge Dame.«
Ich wusste
nicht recht, was er mit »Ihre Arbeit« meinte, wahrscheinlich wusste Fred
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