Harper Connelly 04 - Grabeshauch
anzeigte, bedrängte mich Tolliver, zu gehen, mir ein Hotelzimmer zu nehmen und
mich auszuruhen. Nachdem ich mit seiner Krankenschwester geredet hatte, willigte ich ein. Ich schlief beinahe schon im Gehen,
wollte aber noch einmal duschen. Die kleinen Schnittwunden in meinem Gesicht brannten und juckten.
Ich fuhr extrem vorsichtig und hielt vor mehreren Hotels. Ich entschied mich für eines, das ein sauberes, bereits gemachtes
Zimmer im dritten Stock frei hatte. Ich schleppte meine Reisetasche quer durch die Lobby bis zum Lift und sehnte mich nach
einem weichen Bett. Außerdem war ich hungrig, aber das Bett spielte die Hauptrolle in meinem kleinen Tagtraum. Mein Handy
klingelte. Ich ging dran, da ich dachte, es sei das Krankenhaus.
Detective Rudy Flemmons sagte: »Sie klingen so, als würden Sie bereits im Stehen schlafen.«
»Stimmt genau.«
»Morgen früh bekommen wir die Bänder. Wollen Sie aufs Revier kommen und sie sich ansehen?«
»Klar.«
»Na gut. Dann sehen wir uns um neun, wenn Ihnen das passt.«
»Einverstanden. Wie laufen die Ermittlungen?«
»Wir befragen immer noch die Nachbarn, um herauszufinden, ob jemand etwas gesehen hat, als Ihr Bruder gestern Abend angeschossen
wurde. Die andere Schießerei fand in der Goodman Street statt. Es handelte sich um eine Auseinandersetzung zwischen Dieben.
Kann sein, dass der Schütze dort, nachdem er mit seinem Kumpel fertig war, aus lauter Wut beschloss, auf ein leichtes Ziel
zu schießen, während er am Motel vorbeifuhr. Es sieht so aus, als ob wir die Stelle gefunden hätten, von der aus geschossen
wurde.«
»Das ist gut«, sagte ich, unfähig zu jeder weiteren Reaktion. Die Lifttüren öffneten sich zu meinem Stockwerk, ich stieg aus
und lief den Flur zu meinem neuen Zimmer hinunter. »Ist das alles, was Sie mir sagen wollten?« Ich steckte die Schlüsselkarte
in den Schlitz.
»Ich denke schon«, antwortete der Detective. »Wo sind Sie gerade?«
»Ich habe gerade im Holiday Inn Express eingecheckt«, sagte ich.
»Das in Chisholm?«
»Ja. Ganz in der Nähe des Krankenhauses.«
»Wir sprechen uns morgen«, sagte Rudy Flemmons, und ich erkannte den Klang seiner Stimme.
Detective Flemmons war einer, der glaubt.
Die Menschen, mit denen ich zu tun habe, lassen sich in drei Kategorien einteilen: in jene, die mir nicht einmal glauben würden,
wenn Gott höchstpersönlich mir eine eidesstattlicheErklärung ausstellte. In jene, die glauben, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die man einfach nicht erklären kann
(die »Hamlet«-Leute, wie ich sie nenne). Und in jene, die felsenfest an das glauben, was ich tue, ja, die den Kontakt
lieben
, den ich zu den Toten herstelle.
Leute, die glauben, lieben die Sendung
Ghost Hunters
, gehen zu Séancen und beauftragen Hellseherinnen wie unsere verstorbene Kollegin Xylda Bernardo. Wenn sie nicht ganz so weit
gehen wollen, sind sie zumindest offen für neue Erfahrungen. Es gibt nicht viele Gesetzeshüter, die glauben, was allerdings
nicht weiter verwunderlich ist, da sie Tag für Tag mit Betrügern zu tun haben.
Ich bin so etwas wie Katzenminze für diejenigen, die glauben. Ich überzeuge, weil ich echt bin.
Ich wusste, dass Detective Rudy Flemmons von nun an immer häufiger auftauchen würde. Ich war der lebende Beweis für das, woran
er heimlich glaubte.
Und das nur, weil mich der Blitz getroffen hatte.
Ich wollte duschen, zog aber nur die Schuhe aus und ließ mich aufs Bett fallen. Ich rief Tolliver an, um ihm zu sagen, dass
ich am nächsten Morgen aufs Polizeirevier gehen und anschließend bei ihm im God’s Mercy Hospital vorbeischauen würde. Er klang
genauso verschlafen, wie ich mich fühlte, und anstatt zu duschen, lud ich mein Handy auf, schlüpfte aus meiner Hose und glitt
zwischen die Laken.
8
Ich schrak hoch. Dann lag ich ein paar Sekunden da und versuchte zu begreifen, warum ich so unglücklich war. Bis mir wieder
einfiel, dass Tolliver im Krankenhaus lag. Ich durchlebte den Moment, in dem man auf ihn geschossen hatte, mit grausamer Klarheit.
Da ich schon mal durch ein Fenster angeschossen worden war, fragte ich mich, was bloß mit uns und Fenstern los war. Wenn wir
uns von Gebäuden fernhielten, würden wir dann unverletzt bleiben? Obwohl Tolliver bei den Pfadfindern gewesen war und mit
ihnen gezeltet hatte, konnte ich mich nicht daran erinnern, dass er diese Erfahrung sehr genossen hätte. Ich würde sie ganz
bestimmt nicht genießen.
Es war
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