Harpyien-Träume
Magier Trent.«
Cynthia wollte ihre Überzeugungskräfte zusammennehmen und ihn auffordern wegzugehen. Statt dessen sagte sie jedoch: »Ich bin Cynthia. Wie kann ich dir behilflich sein, Magier?«
Er lächelte spitzbübisch, und sie begriff, daß ihre derzeitige vo r gebeugte Stellung ihm einen viel zu tiefen Einblick in ihren Au s schnitt gewährte. Schließlich war sie noch nicht ganz so weit von der Unschuld der Kindheit entfernt. Beinahe hätte sie ihren Verstand wieder fallen lassen. Doch glücklicherweise schaffte sie es, sich aufzurichten, ohne dabei allzu sehr zu erröten.
»Ich würde es sehr zu schätzen wissen, wenn du mir sagen kön n test, wo ich den nächstgelegenen guten Fluß finde«, sagte Trent.
Da Cynthia von Natur aus liebenswürdig und unschuldig war, hielt sie sich an ihrem wiedergewonnenen Verstand fest und gab Trent zuckersüß und in aller Unschuld falsche Anweisungen. Wenn er ihnen folgte, würde er auf dem Pfad enden, auf dem Fremde das Dorf zu verlassen hatten.
Der Magier Trent musterte sie. »Bist du sicher?« fragte er sanft.
»Na ja, vielleicht habe ich es doch ein bißchen durcheinander g e bracht«, gestand sie aus Furcht, daß er Mißtrauen hegen könnte. Also beschrieb sie ihm statt dessen den Weg zum nächstgelegenen Liebesquell. Wenn er davon trinken sollte, würde er sich hof f nungslos in das nächstbeste weibliche Wesen verlieben, dem er begegnete, beispielsweise einem Warzenschwein.
»Bist du sicher?« fragte er wieder.
»Ganz sicher«, erwiderte sie und unterdrückte den Impuls, alles zu gestehen und ihn vielleicht noch dazu mit einem Kuß zu ve r söhnen.
»Das tut mir aber leid«, fuhr er fort. »Du mußt nämlich wissen, daß ich diese Gegend zufälligerweise kenne. Du hast mich soeben an einen Abschiebeweg und einen allzu freundlichen Liebesquell verwiesen. Ich fürchte, das muß ich dir nun heimzahlen, denn ein solcher Verrat ärgert mich. Aber ich werde deiner jugendlichen Schönheit nichts antun.« Und bevor sie auch nur den Versuch unternehmen konnte, etwas dagegen einzuwenden, machte er eine Geste.
Cynthia wußte, daß sie in Schwierigkeiten steckte. Sie versuchte zu fliehen, doch schon verwandelte sich ihr Körper. Ihr Rumpf löste, streckte, dehnte und verzerrte sich. Sie nahm eine groteske Größe an. Ihr – mangels besserer Bezeichnung nur als solches zu benennendes – Hinterteil ragte plötzlich monströs hervor und entwickelte einen langen, haarigen Schweif. Irgendwo in der Mitte ihres Körpers wuchsen ihr plötzlich vier neue Gliedmaßen. Zwei davon waren Beine, doch ohne Füße, statt dessen endeten sie in schwarzem Horn. Die anderen beiden wuchsen ihr hinten. Sie waren weiß, fedrig und grotesk verzerrt. Ihr Körper wurde fast überall braun und haarig, mit knotigen Knien und einem Bauch so groß wie eine Tonne. Nur ihr spärlicher Überrest von einem menschlichen Oberkörper behielt seine Kleidung an; ihr unterer Teil war aus ihrem Rock geplatzt und scheußlich nackt.
Oh, welch ein Grausen! Sie hatte sich in ein garstiges Ungeheuer verwandelt. Und der Böse Magier hatte sie noch mehr getriezt, indem er behauptete, ihrer Schönheit nichts anzutun!
Angemessen entsetzt, schrie Cynthia vor Verzweiflung und D e mütigung auf und rannte so schnell davon, wie ihre vier kuhähnl i chen Beine sie tragen konnten. Sie wußte, daß sie in diesem Zustand nie wieder nach Hause zurückkehren konnte. Aber wo sollte sie sonst hin? Was sollte sie tun? Es hatte keinen Zweck, den Bösen Magier danach zu fragen. Der würde einfach nur sagen: »Ehrlich gesagt, meine Liebe, das interessiert mich herzlich wenig.« Nein, sie würde sich irgendwo verstecken müssen, bis sie es schließlich aus Xanth hinausschaffte und niemand jemals wieder von ihr hö r te.
Langsam ging ihr die Puste aus, und so mußte sie in einen leic h ten Trab überwechseln. Dennoch lief sie weiter, soweit sie nur konnte, in der Hoffnung, weit genug zu kommen, bis sie eine G e gend erreicht hatte, wo niemand sie kannte. Andererseits konnte sie nicht ewig so weitermachen, es wurde schon spät.
Sie entdeckte eine Scheune. Vielleicht konnte sie sich über Nacht darin verstecken, um sich früh am Morgen davonzustehlen, wenn nur wenige Leute auf den Beinen waren. Vielleicht konnte sie auch einen Bärlappsack auftreiben, um ihn sich über den Kopf zu zi e hen, damit niemand sie erkannte. Denn ein Abtasten ihres G e sichts zeigte ihr, daß es sich nicht verändert hatte: Der Magier ha t te ihr die
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